Page 38 - Leinen los! 11/2023
P. 38

MARITIME SICHERHEITSPOLITIK
Die stürmische Zukunft maritimer Sicherheit
Herausforderungen beim Schutz Kritischer Infrastruktur im Zuge der Energiewende
Henrik Schilling*
In der Zeit, die es benötigt, diesen Artikel zu lesen, hat ein Windrad vor der Küste Chinas im September dieses Jahres über 800 kW Strom produziert. Damit bricht es einen däni-
schen Rekord, der erst im August neu aufgestellt wurde. Die Energiewende, so könnte man meinen, ist im vollen Gange. „Größer, höher, weiter“ ist die Devise, wenn es um den Aus- bau von erneuerbaren Energien in den weltweiten Küsten- gewässern geht. Dass diese Expansionspolitik nicht nur Vor- teile mit sich bringt, zeigt sich allerdings bereits bei dem Blick auf die Raumordnungspläne der Nord- und Ostsee, bei dem schnell deutlich wird, wie begrenzt der Platz der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone doch ist. So sind die küs- tennahen Gewässer von Schutzgebieten geprägt, während sich Windkraftanlagen das verbliebene Gebiet mit Schiff- fahrtsstraßen, Zugvögeln, Fischern und Sperrgebieten zur Rohstoffgewinnung teilen müssen. Trotz alledem sind die Investitionen in Offshorewindkraftanlagen immens und der Ausbau geht stetig voran: international hat sich die installierte Offshorewindkapazität von 2019 bis 2021 etwa verdoppelt. Und während diese Verdopplung bei einigen als Anlass zur Freude gilt, kann sie im Sicherheitssektor durchaus zu Kopf- zerbrechen führen. So war bereits die Zerstörung der Nord- Stream-Pipelines nicht nur eine Mahnung, sondern auch ein Weckruf für einen besseren Schutz maritimer Kritischer In- frastruktur.
Die Windparks selbst, aber vor allem die Transportinfrastruktur des Stroms vor und an der Küste, bieten immer mehr Angriffs- fläche für staatliche wie nicht-staatliche Akteure. Polizei und Marine sehen sich vor die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, mit sehr begrenztem Material und Personal immer umfangreichere Strukturen zu schützen. Während mit dem Maritimen Sicher- heitszentrum in Cuxhaven eine wichtige Plattform zur Koordi- nierung solcher Einsätze geschaffen wurde, gibt es bis heute keine klaren Zuständigkeiten im Ernstfall. So plädierte der Ins- pekteur der Marine erst kürzlich für eine genauere Regelung der Zusammenarbeit von Behörden in Krisenlagen. Allerdings gilt es, nicht nur den Schutz Kritischer Infrastruk- tur in heimischen Gewässern zu koordinieren. Vielmehr muss auch die Frage gestellt werden, wie sich Kritische Infrastruk- tur schützen lässt, die sich außerhalb der eigenen Gewässer befindet. Eine Antwort darauf können internationale Einsätze zum Lagebildaufbau sein, wie ihn die NATO vor der Küste Nor- wegens im vergangenen Jahr begonnen hat. Auch die Deut- sche Marine beteiligte sich damals an dem Einsatz, der unter anderem norwegische Gaspipelines schützen sollte. Neben einer verstärkten Präsenz in dem Gebiet durch Einheiten der Standing NATO Maritime Group I, hat die NATO vor Kurzem eine eigene Koordinierungsstelle zwischen Verbündeten, Part- nern und dem Privatsektor geschaffen. Diese soll vor allem alle relevanten Akteure identifizieren und Informationen zusam- menführen. Ebenso wurde im März dieses Jahres eine gemein- same Einsatzgruppe von NATO und EU zu Resilienz und dem Schutz Kritischer Infrastruktur geschaffen.
Und auch im akademischen Kontext ist das Thema längst ange- kommen. So beschäftigte sich das Baltic Sea Strategy Forum, ausgerichtet vom Institut für Sicherheitspolitik Kiel (ISPK), dem schwedischen Forschungsinstitut der Verteidigung (FOI) und der dänischen Verteidigungsakademie in diesem Jahr mit den neuen Herausforderungen in der Ostsee seit dem rus- sischen Angriff auf die Ukraine und seinen Implikationen für das Gebiet.
Es gilt nun, aus den Erfahrungen spätestens seit dem russi- schen Angriff die richtigen Schlüsse für den Schutz maritimer Kritischer Infrastruktur zu ziehen. Dazu muss unter anderem ein Schutzkonzept definiert werden, in dem klare Zuständig- keiten geregelt werden und sowohl nationale als auch inter- nationale Kooperation forciert wird. 7
* Henrik Schilling ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insti- tut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel gGmbH (ISPK)
38 Leinen los! 11/2023 Anzeige 90 x 75.indd 1
25.05.18
09:20
Spende und werde ein Teil von uns.
seenotretter.de
Einsatzberichte, Fotos, Videos und Geschichten von der rauen See erleben:
#teamseenotretter


































































































   36   37   38   39   40