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Tod auf See Ostseefähre JAn heweliusz Jann M. Witt
Seefahrt ist gefährlich. Seit sich der erste Mensch auf das Meer wagte, haben Stürme und Stran- dungen, ebenso wie Kriege und Piraten, zahllose Todesopfer gefordert. Trotz GPS oder Radar ereignen sich auch heute noch Unglücke auf See. In dieser Serie erinnern wir an zehn maritime Katastrophen, die der neuen Ausstellung „Tod auf See” im Marine-Ehrenmal zugrunde liegen.
Teil 3
Es war der 14. Januar 1993: Der Orkan „Verena“ peitscht mit Windgeschwin- digkeiten von rund 160 km/h die Ostsee
auf. Die Wellen erreichen eine Höhe von bis zu 4 m. Mitten durch dieses Inferno aus Wind, Gischt und Wellen rollt und stampft die polnische Fähre Jan hEWEliusz auf ihrem Weg vom polnischen Świnoujście (deutsch: Swinemünde) zum schwedischen Fährhafen Ystad.
Um 04.37 Uhr setzt das Schiff per Funk einen ersten Hilferuf ab. Nur acht Minu- ten später, um 04.45 Uhr, sendet die Jan hEWEliusz „Mayday“, den internationalen Notruf im Sprechfunk. Er bedeutet, dass das Schiff und die Personen an Bord in höchster Bedrängnis sind und sofortigen Beistand benötigen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Fähre eine Schlagseite von 70 Grad und es besteht die Gefahr des Kenterns. Um 05.27 Uhr funkt dieJan hEWEliusz einen dritten Hilferuf. Kurz danach verschwindet die Fähre von den Radarschirmen.
Die Jan hEWEliusz war am 29. Januar 1977 auf der Werft Trosvik Versted A/S in Bre- vik (Norwegen) als sogenannte Roll-on-/ Roll-off-Fähre oder kurz „RoRo-Fähre“ vom Stapel gelaufen. Schiffe dieses Typs haben eine Bug- und eine Heckklappe,
Die Jan hEwEliusz im August 1982 in Ystad
sodass Pkw, Lkw oder auch Eisenbahnwag- gons direkt in das Schiff hinein- und wie- der hinausfahren können. Dieses Prinzip ermöglichte neue Formen des kombinier- ten Land-Seeverkehrs, die sich u.a. in der rasanten Aufwärtsentwicklung des Fähr- verkehrs in der Ostsee seit den 1960er-Jah- ren bemerkbar machten.
Die 125,60 m lange und 17,60 m breite Jan hEWEliusz konnte bis zu 47 Lkw oder eine entsprechende Anzahl Waggons oder eine Kombination von beidem an Bord nehmen. Sie wurde von vier Dieselmoto- ren mit eine Gesamtleistung von 7400 PS (5443 kW) angetrieben, die auf zwei Pro- peller wirkten und dem Schiff eine Höchst- geschwindigkeit von rund 17 kn (31 km/h) verliehen.
Die nach dem Danziger Astronomen Johannes Hevelius (1611–1687) benannte Fähre gehörte der polnischen Reede- rei „Polskie Linie Oceaniczne“ (Polnische Ozeanlinien) und wurde ausschließlich auf der Fährlinie zwischen Ystad in Schweden und Swinemünde eingesetzt. Ab 1991 wurde das Schiff von der „Euroafrica Linie Żeglugowe“ (Euroafrikanische Schifffahrts- linien), einer Tochterreederei der „Polskie Linie Oceaniczne“, betrieben.
Die Jan hEWEliusz galt als Unglücksschiff. Bereits auf der Jungfernfahrt im Juli 1977 trat in der Maschine ein Lagerschaden auf. Damit begann eine Pannen- und Unfallse- rie, die schließlich im Untergang des Schif- fes gipfelte. Im September 1986 kam es an Bord zu einem schweren Brand. Zwar wurde niemand verletzt, das Schiff aber schwer in Mitleidenschaft gezogen. Bei der Reparatur wurde ein vom Feuer lädiertes Deck mit 60 t Beton beschichtet, was nicht nur das Gewicht des Schiffes erhöhte, son- dern auch seine Stabilität gefährlich beein- trächtigte. Vier Tage vor der Katastrophe war zudem das Hecktor des Schiffes beim Anlegen in Ystad beschädigt worden. Der Kapitän der Jan hEWEliusz, Andrzej Ułasiewicz, hielt eine umgehende Repara- tur für erforderlich, doch die Reederei wies ihn an, lediglich eine provisorische Ausbes- serung vorzunehmen und die Fahrt wie geplant fortzusetzen. Die Instandsetzung der Heckklappe sollte später erfolgen. Möglicherweise haben diese fragwürdi- gen Reparaturmethoden mit zum Unter- gang der Jan hEWEliusz im Januar 1993 bei- getragen. Sie waren aber mit Sicherheit nicht der eigentliche Grund für die Katas- trophe: Die Rekonstruktion des Unglücks-
Geschichte
Leinen los! 4/2025 39
Foto: Wikimedia commons/Wolfgang Fricke


































































































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