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Panzerschiff
admiral sCHeer
erfolgenden Fliegerangriff ein Signal- gast zu Tode kommt und der Funkmaat die Nachricht verbreitet, dass die deut- schen Truppen bereits an der gesam- ten britischen Front kapituliert hätten, kommt es zum offenen Eklat. Unter Füh- rung des Steuermanns fordert die Besat- zung die sofortige Umkehr und Über- gabe des Bootes an die Siegermächte, der Kommandant hingegen beharrt dar- auf, seinen Auftrag unter allen Umstän- den auszuführen. Nach vergeblichen Ver- suchen Bertrams, Tim umzustimmen, kommt es schließlich zur offenen Meu- terei, in deren Verlauf der Kommandant seines Postens enthoben und das Boot auf Gegenkurs gebracht wird.
Richtig wohl ist der Besatzung mit ihrer Handlungsweise nicht, denn zwi- schenzeitlich laufen neue Instruktionen des Flottenkommandos ein, das noch immer davon ausgeht, der Minensucher befände sich auf Ostkurs. Als das Schiff dann endlich zu seinem dänischen Lie- geplatz zurückkehrt, nimmt das Verhäng- nis seinen Lauf. Aus einer Meute Fisch- kuttern schert ein Schnellboot aus und zwingt den Minensucher mit geöffne- ten Torpedorohren in den Hafen einzu- laufen. Dort warten an der Pier bereits bewaffnete Soldaten, welche die Meu- terer gefangen nehmen. Noch hoffen einige von ihnen auf britische Interven- tion, doch stellt sich bald heraus, dass ungeachtet der Kapitulation die deut- sche Militärgerichtsbarkeit weiterhin in Kraft ist. In einem alten Saal kommt es dann zum Prozess vor einem Marine- gericht, das Steuermann Bertram und einen weiteren mutmaßlichen Rädels- führer wegen Befehlsverweigerung, tätli- cher Bedrohung eines Vorgesetzten und
bewaffneter Meuterei auf Kriegsmarsch zum Tode verurteilt. Bis zuletzt hoffen ihre Kameraden auf Begnadigung, doch vergeblich: Irgendwann werden die bei- den Verurteilten aus dem Raum geführt und draußen mit Maschinenpistolen hin- gerichtet. Der empörte Protest eines Besatzungsmitglieds, der Krieg sei doch vorbei und die Hinrichtung Mord, ver- hallt im Nichts.
Siegfried Lenz wusste aus eigener Erfah- rung, worüber er schrieb. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er sich freiwil- lig zur Kriegsmarine gemeldet. Anfang Mai 1944 war er als Offizieranwärter auf das Panzerschiff admiral scheer abkom- mandiert worden, das im Herbst 1944 in der östlichen Ostsee operierte und
Schnellboot
an Kämpfen um die Insel Ösel und der Beschießung von sowjetischen Stellun- gen in Memel/Kleipėda teilnahm. Im Pil- lauer Kanal gab das Schiff den dort ein- geschlossenen Wehrmachtsverbänden Feuerschutz, schließlich nahm es im März 1945 in Kurland noch Flüchtlinge und Kriegsversehrte an Bord. Lenz hatte die Gefahren solcher Rettungsunternehmen, die Luftangriffe und Bedrohung durch feindliche U-Boote am eigenen Leib erlebt und konnte seine Eindrücke viele Jahre später in seine Erzählung einflie- ßen lassen. Als die admiral scheer Ende März 1945 Kiel erreichte, war der Krieg für ihn noch nicht vorbei. Mit anderen Offizieranwärtern wurde er mit dem Zug nach Flensburg gebracht und von dort in das noch besetzte Dänemark abkom- mandiert, wo er auf dem Kadettenschul- schiff hansa seinen neuen Dienst antre- ten sollte. Lenz, der wie viele andere das Kriegsende herbeisehnte, desertierte und begab sich nach der deutschen Teilkapitulation in britische Kriegsge- fangenschaft.
Abschließend einige Worte zu Siegfried Lenz’ Nachkriegswerdegang: Auch er durchlief gewissermaßen eine Wand- lung, denn während des Krieges war er, wenn auch für kurze Zeit und seiner eige- nen Darstellung zufolge ohne eigene Kenntnis, NSDAP-Mitglied gewesen. Nach der Kapitulation in einem britischen Kriegsgefangenenlager auf der Halbinsel Eiderstedt interniert, erfuhr er als Dolmet-
Geschichte
Leinen los! 7-8/2025 33