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MARITIME SICHERHEITSPOLITIK
Im Norden Neues
Die Arktis als Konfliktarena der Zukunft
Joachim Weber*
K ein Zweifel mehr: Die Menschheit ist in einer Epoche an- gekommen, für die bereits der Begriff des Anthropozän vorgeschlagen worden ist. Nicht mehr nur die Umwelt wirkt auf den Menschen, der Mensch gestaltet die Umwelt in immer rasanterem Tempo um. Eine Folge ist der Klimawandel. In der Arktis läuft der Erwärmungsprozess derzeit mit der etwa zwei- einhalbfachen Geschwindigkeit des globalen Durchschnitts. Doch welche Folgen haben diese naturräumlichen Dynamiken
für die Dimension des politischen Zusammenlebens? Veränderungen eröffnen neue Möglichkeiten und wecken Be- gehrlichkeiten. Rohstoffe, vor allem Hydrokarbonate, also Erdöl, Gas und Kohlevorkommen, liegen in großer Menge innerhalb des Polarkreises, der geologische Dienst der USA schätzte die- se auf bis zu 30 % der globalen Erdgas-Deposite und 13 % der Öl- vorkommen. Diese groben Schätzungen werden immer wieder kolportiert und haben viele Autoren veranlasst, von einem künfti- gen Wettlauf, ja Wettkampf um diese Bodenschätze in der Arktis auszugehen. Doch für die These spricht wenig. Sicherlich haben (fast) alle Arktis-Anrainer, also die Russische Föderation, Norwe- gen, Dänemark (wegen Grönland) und Kanada teilweise extrem weitreichende Anträge auf die Vergrößerung ihres Festlandsso- ckels bei der zuständigen UN-Behörde in New York eingereicht. Lediglich die USA mit Alaska stehen noch außen vor, da sie das internationale Seerechtsübereinkommen – UNCLOS – nicht rati- fiziert haben. Aber alle Beobachter wissen: Die „Arctic Five“ ver- suchen sowieso, in der Arktis alles einvernehmlich zu regeln, um die Ansprüche anderer Nicht-Anrainer abzuwehren. Die Gefahr, dass die Arktisstaaten über Gebietsansprüche in Konflikt oder gar Krieg geraten, ist sehr gering. Norwegen und Russland et- wa haben sich über ihre Territorialansprüche in arktischen Ge- wässern bereits bilateral geeinigt, und andere sind auf demsel- ben Wege. Es wäre auch ein weitgehend sinnloser Streit, denn die Hydrokarbonate der Arktis liegen ganz überwiegend in den Bereichen der 200-Seemeilen-Zonen, die den jeweiligen Staa- ten sowieso zur exklusiven Ausbeutung zustehen. Alles gut also in der Arktis? Keineswegs.
Das Abschmelzen des nur scheinbar „ewigen Eises“ der Arktis hat weitere Folgen: Neue Schifffahrtsrouten entstehen. Kanadas Nordwestpassage verliert ihren Schrecken, Russland will die Nord- ostpassage (international als Northern Sea Route bekannt) weiter aufbauen und schon in Kürze auf 80 Mio. t Verkehr im Jahr „pu- shen“. Mehr noch, China zielt bereits auf die transpolare Route, also die Direktfahrt über die Polkalotte. Auf diese Absichten deu- ten chinesische Publikationen und diverse Forschungsfahrten des Eisbrechers xue lOng („Schneedrache“) aus den jüngsten Jah- ren. Sollten die Prognosemodelle stimmen, könnte die Nordpo-
larroute bereits in den
2030er-Jahren wäh-
rend der Sommermo-
nate weitgehend eis-
frei sein. Hier ist die
wirkliche sicherheits-
politische Herausfor-
derung für die künf-
tigen Entwicklungen
in der Arktis: Es sieht
alles nach einem Kon-
flikt dreier Großmäch-
te aus, die (nicht nur) in dieser Region den Ton angeben wollen und sich zunehmend weltpolitisch verhaken: Die USA, Russland und China verfolgen jeweils eigene, wenig miteinander kompa- tible Agenden; im Wesentlichen aber geht es um die Frage, wer das machtpolitische Great Game unserer Tage gewinnt. Russland möchte, kann aber mit China und den USA nicht wirk- lich mithalten. Trotz aller Umtriebe in Syrien oder der Ukraine – im hohen Norden braucht Putin vor allem Ruhe und Stabilität. Nur so kann er weiter ungestört Gas fördern und verkaufen und damit die Wiederherstellung einer russischen Großmachtrolle überhaupt erst finanzieren. Nahezu alle russischen militärischen Maßnahmen in der Arktis sind bislang defensiv, und Offensivka- pazitäten werden nur im Bereich der nuklearen Abschreckung erheblich modernisiert, um den USA auf strategischer Ebene Paroli bieten zu können. Den USA ist Putin ökonomisch nicht gewachsen, aber Peking schon gar nicht. 140 Mio. Russen wer- den keinen Wettkampf mit den über 1,4 Mrd. Chinesen erfolg- reich bestehen können.
So zeigt sich auch in der Arktis bereits in Ansätzen, dass die künftige Weltordnung von einem harten Zwist zwischen der roten Supermacht in Fernost und den USA bestimmt sein wird. Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung des hohen Nordens ist Washington aufgewacht, hat die für den Nordatlantik zu- ständige 2. Flotte wieder aufgestellt, den Bau von neuen Eis- brechern begonnen und – wenn auch sehr ungeschickt – seine Ansprüche u.a. auf Grönland untermauert. China geht derzeit noch dezenter vor und spricht viel von „gemeinsamem Erbe der Menschheit“ und dem Schutz der arktischen Umwelt, aber es geht Peking darum, seine globale Aufstellung zur Kontrol- le der internationalen Seewege zu verbessern. Während Wa- shington und seine Verbündeten versuchen, China im Süd- chinesischen Meer einzudämmen – Pekings „Malakka-Dilem- ma – versucht China, seine strategische Position durch eine „anti-containment“-Strategie zu verbessern. Vor allem dazu
Dr. Joachim Weber
Leinen los! 10/2020 51
Foto: ISPK


































































































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