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MARITIME SICHERHEITSPOLITIK
Hybride Kriegsführung
ist längst gelebte Realität Johannes Peters
Die Sprengstoffanschläge auf beide Stränge der Nord Stream-Pipelines im September 2022 in der Ostsee haben die Bedeutung und Vulnerabilität von unterseeischer kritischer
Infrastruktur (KRITIS) schlagartig in das öffentliche Bewusstsein katapultiert. Die eindrucksvollen Bilder aus dem Seegebiet vor Bornholm machten weltweit Schlagzeilen. In Europa trafen sie auf eine Öffentlichkeit, welche angesichts des Krieges in der Ukraine, ausbleibender Energielieferungen aus Russland und rasant stei- gender Energie- und Verbraucherpreise zutiefst verunsichert ist. Und die sich nun auch noch um ihre sicher geglaubte Energiein- frastruktur sorgen muss. Obwohl Experten bereits seit Jahren auf die Gefahr solcher oder ähnlicher Sabotageakte hingewiesen haben, war das Interesse an maritimer KRITIS und deren Schutz in den meisten Staaten gering. Dies ist nun anders. Schnell war man sich einig, dass ein solch komplexer Anschlag nur mit Beteiligung eines staatlichen Akteurs möglich ist – der Anschlag ist damit in die Kategorie hybrider Kriegsführung einzuordnen.
Das Konzept hybrider Kriegsführung ist nicht gänzlich trenn- scharf umrissen. Vereinfacht gesagt, versteht man darunter vor- sätzliche, geplante, zielgerichtete, feindselige Handlungen eines Akteurs unterhalb der Schwelle zur kriegerischen Auseinander- setzung, aber mit dem Ziel, den Gegner langfristig zu schwächen. Ein wesentlicher Punkt dabei ist die unklare Urheberschaft. Ein hybrider Akteur will im Idealfall deutlich genug sein, damit seine Botschaft verstanden wird, aber diskret genug, um jederzeit eine Urheberschaft plausibel abstreiten zu können.
Im Falle Nord Stream laufen derzeit umfangreiche internatio- nale Ermittlungen, und obgleich es Indizien für eine bestimmte Urheberschaft gibt, konnten bislang noch keine Beweise in Richtung eines spezifischen Akteurs gefunden werden. Viel- mehr wird man sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, letztinstanzlich vielleicht nie völlige Gewissheit zu erhalten. Gleichwohl wenden schon jetzt einige Staaten erhebliche Res- sourcen auf, um ihre maritime KRITIS besser zu schützen. Die italienische Marine setzt etwa einen Minenjäger, unbemannte Systeme, Kampfschwimmer und sogar eines ihrer U-Boote ein, um die Pipelines zu überwachen, mit denen sich Italien aus Libyen mit Gas versorgt. Unter Führung der NATO beteiligen sich internationale Marineeinheiten, auch aus Deutschland, an dem Schutz und der Seeraumüberwachung der norwegischen Erdgasfelder und der zugehörigen Pipelines. Norwegen als nun wichtigster europäischer Gaslieferant hatte im unmittel- baren zeitlichen Umfeld der Nord Stream-Explosionen die ver- mehrte Sichtung von Drohnen entlang seiner KRITIS gemel- det. Sollte das Ziel der Nord Stream-Anschläge gewesen sein, Europa die Vulnerabilität seiner maritimen KRITIS und deren
unzureichenden Schutz vor Augen zu führen, so ist dies zwei- felsfrei gelungen.
Der Rückhalt für die westliche Sanktionspolitik beginnt vor dem Hintergrund hoher Energiepreise zu bröckeln. Es wird die Frage gestellt, wie viel Wohlstandsverlust hinnehmbar ist, um die Ukra- ine zu unterstützen. Dies mag angesichts der immensen ukraini- schen Opfer und Entbehrungen zynisch erscheinen, erhöht aber die politischen Kosten der Entscheidungsträger, welche immer auch die nächste Wahl im Blick haben müssen. Auch die volks- wirtschaftlichen Kosten erhöhen sich, kostet doch der Einsatz der Streitkräfte immer Geld. Und schließlich setzt es perspektivisch die Wehrfähigkeit Europas herab, wenn Seestreitkräfte Mensch und Material in langwierigen Seeraumüberwachungsoperatio- nen abnutzen, anstatt diese Zeit für Gefechtsausbildung oder Instandsetzung zu nutzen. All diese Aspekte: Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Erhöhung der politischen und volkswirtschaftlichen Kosten und Schwächung der militäri- schen Bereitschaft entsprechen lehrbuchartig den Zielen hybri- der Kriegsführung.
Es wird Zeit anzuerkennen, dass hybride Attacken kein theore- tisches Konzept mehr sind, sondern gelebte Realität. Um die- ser zu begegnen, bedarf es sicherlich verbesserter militärischer Fähigkeiten, vor allem zur Abschreckung. Doch das allein greift zu kurz, umfassende Abschreckung muss auch die Härtung der Zivilgesellschaft im Sinne erhöhter Resilienz beinhalten. Je kla- rer man die Gefahren benennt (Blackout, Cyberangriffe, etc.) und Gegenmaßnahmen aufzeigt, umso geringer ist die gesellschaft- liche Verunsicherung, sollte ein solches Szenario eintreten. Nur eine Kombination aus glaubhafter militärischer Abschreckung und gesellschaftlicher Resilienz verringern die Erfolgsaussichten eines hybriden Akteurs und schrecken ihn letztendlich ab. 7
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