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Geschichte
Der Krimkrieg und die Entwicklung der Seekriegstechnik
Jann M. Witt
Teil 1
Die Idee, Kriegsschiffe durch Pan- zerung im Gefecht weniger ver- wundbar zu machen, ist fast so alt wie
die Geschichte der Seefahrt. Neben Berichten über derartige Versuche in der Antike sind gepanzerte Schiffe aus der Zeit Kaiser Karls V. und aus den Krie- gen zwischen Korea und Japan gegen Ende des 16. Jahrhunderts überliefert. Allerdings blieben gepanzerte Schiffe lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung, da sie zu teuer, zu wenig effektiv und in der Zeit der eiserne Vollkugeln verschie- ßenden Vorderladergeschütze auch über- flüssig waren: Hölzerne Kriegsschiffe wur- den nur sehr selten in der Schlacht ver- senkt – und wenn, dann eher durch eine Explosion der Pulverkammer als durch die massiven Geschosse der feindlichen Geschütze.
Bombenkanone
Erst der technische Fortschritt des 19. Jahr- hunderts sollte diese Situation grundle- gend verändern. 1822 entwickelte der französische Artillerieoffizier und Inge- nieur Henri Joseph Paixhans eine neuar- tige Haubitze, die als „Bombenkanone“ bekannt wurde. Konnten Explosivge- schosse zuvor nur von Mörsern im Steil- feuer verschossen werden, war es nun möglich, diese auch mit flacher Flugbahn im direkten Richten abzufeuern. Diese sogenannten „Bomben“ bestanden aus eisernen, mit Schießpulver gefüllten Hohlkugeln, die durch einen aus einer mit Schwarzpulver gefüllten Holzröhre beste- henden und beim Abfeuern der Treibla- dung entfachten Brandzünder zur Deto- nation gebracht wurden. Die Verzögerung richtete sich nach der geschätzten Flug-
Der Krimkrieg von 1853 bis 1856 ist heute fast vergessen. Doch dieser zu Land und zur See
geführte, für alle Seiten verlustreiche Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, Frankreich und Großbritannien markiert einen wesentlichen Wendepunkt hin zur modernen Kriegführung – vor allem zur See, denn die Erfahrungen des Krimkriegs beschleunigten die Entwicklung des dampfgetrie- benen gepanzerten Kriegsschiffs.
Bombenkanone nach Paixhans
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Ladung einer Bombenkanone
dauer des Geschosses. Je nach Entfer- nung wurde die Brandröhre deshalb kürzer oder länger abgeschnitten. Allerdings war es so kaum möglich, den Explosionszeit- punkt exakt zu bestimmen. Manche Bom- ben gingen zu früh hoch, manche konnten vor der Detonation durch Übergießen mit Wasser oder Überbordwerfen entschärft werden, manchmal versagte auch der Zün- der. Ebenso war die Zielgenauigkeit der neuartigen Geschütze nicht besser als die der herkömmlichen Kanonen, da es sich bei ihnen ebenfalls um Vorderlader mit
glattem Lauf handelte. Doch trotz dieser Unzulänglichkeiten bewiesen bereits die ersten Schussversuche auf ausgemusterte hölzerne Kriegsschiffe, dass die neuarti- gen Explosivgeschosse nicht nur gewal- tige Löcher in die Bordwände rissen, son- dern auch Brände verursachten und die Zielschiffe in Minutenschnelle in eine Flam- menhölle verwandeln konnten. Angesichts dieser überwältigenden Feuer- und Zerstörungskraft dauerte es nicht lange, bis die ersten Bomben- kanonen im französischen Militär, spä-
Fotos: Wikipedia/Commons


































































































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