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Geschichte
ter auch von den Streitkräften anderer Staaten eingeführt wurden. Küstenbatte- rien wurden mit Bombenkanonen ausge- rüstet und seit den 1830er-Jahren wurde auch damit begonnen, Kriegsschiffe mit dem neuen Geschütztyp zu bewaffnen. Eine ihrer ersten Bewährungsproben bestanden die Bombenkanonen wäh- rend des ersten Deutsch-Dänischen Kriegs im Gefecht von Eckernförde am 5. April 1849, als schleswig-holsteini- sche Küstenbatterien das dänische Lini- enschiff cHristiAN VIII. und die Fregatte GefiON in Brand schossen und zur Kapi- tulation zwangen. Das Gefecht erregte europaweit großes Aufsehen. Spätestens jetzt begann man über Möglichkeiten nachzudenken, wie man Kriegsschiffe vor der verheerenden Wir- kung der Bombenkanonen bewahren konnte. Rasch zeigte sich, dass eine Pan- zerung mit eisernen Platten den besten Schutz gegen Explosivgeschosse bot. Doch es sollte noch einige Jahre dau- ern, bis diese Ideen in die Tat umgesetzt wurden. Einen Wendepunkt bildete die Schlacht von Sinope im Schwarzen Meer am 30. November 1853, in der ein russi- sches Geschwader einen Teil der türki- schen Flotte vernichtete.
Die Schlacht von Sinope
Rivalität im Schwarzen Meer
Seit dem 18. Jahrhundert hatte sich Russ- land zum wichtigsten Rivalen des Osma- nischen Reichs in der Schwarzmeerre- gion entwickelt. Zwischen 1768 und 1792 war es Zarin Katharina II. in zwei siegrei- chen Kriegen gegen die Türken gelun- gen, das gesamte Nordufer des Schwar- zen Meeres mitsamt der Halbinsel Krim in ihren Besitz zu bringen. Dieser Erfolg wurde zur Grundlage für eine neue Ziel- richtung der russischen Politik in Rich- tung Balkan und der Dardanellen. Der wachsende Einfluss des Zarenreichs in Südosteuropa und dessen Absicht, durch die Besetzung von Konstantino- pel den freien Zugang vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer zu erringen, führ- ten zu einer zunehmenden Verschärfung des russisch-osmanischen Gegensatzes. Angesichts des wachsenden Drucks des Zaren auf das Osmanische Reich, dessen Forderung nach der Schutzherrschaft über die christlichen Untertanen des Sul- tans und damit nach Einflussnahme auf die inneren Angelegenheiten der Tür- kei sowie der Besetzung der zum türki- schen Herrschaftsbereich gehörenden Donaufürstentümer Moldau und Wala- chei erklärte Sultan Abdülmecid I., der auf die Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs zählte, am 4. Oktober 1853 Russland den Krieg.
Seeschlacht bei Sinope
Die Feindseligkeiten wurden nicht nur an Land, sondern auch zur See ausge- tragen. Sowohl Russland als auch das Osmanische Reich unterhielten See- streitkräfte im Schwarzen Meer. Kurz nach Kriegsausbruch sichteten russi- sche Kriegsschiffe unter dem Befehl von Admiral Pawel Stepanowitsch Nachimow
im türkischen Hafen von Sinope an der Südküste des Schwarzen Meeres einen osmanischen Schiffsverband aus sieben Fregatten, zwei Korvetten, zwei Trans- port- und zwei hölzernen Dampfschif- fen unter dem Befehl von Vizeadmiral Osman Pascha. Nachimow nahm umge- hend die Seeblockade des Hafens von Sinope auf und rief Verstärkungen aus dem auf der Krim gelegenen russischen Marinestützpunkt Sewastopol herbei, die Ende November eintrafen.
Am Nachmittag des 30. November 1853 griff Nachimow mit einem nunmehr aus sechs Linienschiffen, drei Fregatten und einigen kleineren Schiffen bestehenden Geschwader die im Hafen von Sinope liegenden türkischen Schiffe an, nach- dem Osman Pascha die Aufforderung zur Kapitulation zurückgewiesen hatte. Die Türken waren nicht nur zahlenmäßig, sondern auch waffentechnisch deutlich unterlegen, denn die Russen verfügten über eine größere Anzahl von 68-pfün- digen Bombenkanonen, die Osman Paschas hölzerne Schiffe innerhalb kür- zester Zeit in Brand schossen. Dabei gingen die Russen mit erbarmungslo- ser Rücksichtslosigkeit vor. Sie feuerten wahllos auch auf Schiffe, die sich zu erge- ben versuchten, sowie auf kleine Boote und auf Männer, die im Wasser um ihr Leben kämpften. Nach nur zwei Stunden war das gesamte osmanische Geschwa- der faktisch vernichtet, wobei fast 3000 türkische Seeleute ihr Leben verloren. Dagegen waren die russischen Verluste mit 40 Toten nur minimal.
Mit brutaler Deutlichkeit hatte die Schlacht von Sinope der Welt die mör- derische Effektivität der modernen Explosivgeschosse und die Verwundbar- keit hölzerner Kriegsschiffe vor Augen geführt: Durch den Einsatz von Bom- benkanonen waren ungepanzerte Holz-
Feldmarschall Fitzroy James Henry Somerset, 1. Baron Raglan
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