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Geschichte
rümpfe schlichtweg militärisch obsolet geworden, neue Wege in der Kriegs- schiffkonstruktion mussten beschritten werden. Der Siegeszug der Sprenggra- nate hatte begonnen.
Großbritannien und Frankreich
Eine weitere, unmittelbare Folge der tür- kischen Niederlage bei Sinope war ein zunehmendes Engagement Großbritan- niens und Frankreichs, die sich informell zum Schutz des Osmanischen Reichs verpflichtet hatten, zugunsten der Tür- kei, allerdings zunächst noch ohne eine Kriegserklärung an Russland. Um einen russischen Vormarsch auf Konstantinopel zu verhindern, entsandten Großbritan- nien und Frankreich Anfang Januar 1854 starke Flottenverbände zum Schutz der türkischen Schwarzmeerküste. Gleich- zeitig forderten die beiden Großmächte Russland auf, seine auf osmanisches Gebiet vorgerückten Truppen zurückzu- ziehen. Als sich der russische Zar Niko- laus I. jedoch weigerte, schlossen Groß- britannien und Frankreich ein Bündnis mit dem Osmanischen Reich und erklär- ten Russland am 28. März 1854 den Krieg. Damit begann nach einer fast 40 Jahre dauernden Friedensphase der erste mili- tärische Konflikt zwischen europäischen Großmächten seit dem Ende der Napo- leonischen Kriege 1815.
Umgehend entsandten beide Mächte Expeditionsstreitkräfte in das Schwarze Meer, wobei das britische Kontingent unter dem Befehl von Feldmarschall Fitzroy James Henry Somerset, 1. Baron Raglan, standen, während die französi- schen Truppen von Marschall Armand- Jacques-Achille Leroy de Saint-Arnaud geführt wurden. Briten und Franzosen gingen davon aus, dass ihre Überle- genheit zur See zu einem raschen Sieg beitragen würde. Sie nutzten ihre See- macht, um die russische Hafenstadt Odessa zu bombardieren und im Juni 1854 ein 60 000 Mann starkes britisch- französisches Expeditionskorps in Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste anzulanden, wodurch die osmanische Armee deutlich entlastet wurde. Als zudem noch Österreich mit dem Ein- tritt in den Krieg drohte, zogen sich die russischen Truppen über die Donau aus Bulgarien zurück und baten um Frie- den. Preußen blieb dagegen als einzige europäische Großmacht in diesem Kon- flikt neutral.
Doch für eine friedliche Lösung des Kon- flikts war es zu spät, da Großbritannien und Frankreich beschlossen hatten, Russland einen Denkzettel zu erteilen und seine Seemacht im Schwarzen Meer zu vernichten. Sie bereiteten deshalb eine Landung auf der Halbinsel Krim vor, mit dem Ziel, Sewastopol, den Haupt- stützpunkt der russischen Schwarzmeer- flotte, einzunehmen.
Am 7. September 1854 verließ eine Flotte von 150 Kriegsschiffen den Hafen von Varna und nahm Kurs auf die Krim. Am 14. September landeten britische, fran- zösische und türkische Truppen auf der Krim in der Kalamita-Bucht, rund 45 km nördlich von Sewastopol. Es war die bis dahin größte amphibische Operation der Kriegsgeschichte. Doch statt den am Strand besonders verwundbaren Geg-
britische Oberbefehlshaber Lord Raglan, der 1815 in der Schlacht von Waterloo sei- nen rechten Arm verloren hatte, war bei Beginn des Krimfeldzuges bereits 65 Jahre alt. Das französische Expeditions- korps umfasste dagegen vier Infanterie- divisionen sowie zwei Kavalleriebrigaden und hatte eine Gesamtstärke von etwa 40 000 Mann. Außerdem hatten die Fran- zosen während ihrer Eroberung Algeriens zwischen 1830 und 1847 wichtige Erfah- rungen bei der Durchführung derarti- ger militärischer Unternehmen gesam- melt, sodass ihre Organisation in vielerlei Hinsicht effizienter als die der britischen Truppen war. Die russische Armee besaß zwar mit Reserven eine Gesamtstärke von gut 1,4 Millionen Mann, litt jedoch unter mangelhafter Ausbildung und schlechter Führung.
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Das Wrack einer türkischen Korvette im Seegebiet vor Sinope
ner direkt anzugreifen, bezog der russi- sche Befehlshaber, General Fürst Alexan- der Sergejewitsch Menschikow, der eine feindliche Landung für unwahrscheinlich gehalten hatte, stattdessen im Landesin- neren mit seiner rund 35 000 Mann star- ken Streitmacht eine günstig gelegene Position am Fluss Alma, um hier den Gegner auf seinem Weg nach Sewasto- pol zu erwarten.
Das britische Kontingent bestand aus fünf Infanterie- und einer Kavalleriedivi- sion, insgesamt rund 26 000 Mann, von denen jedoch viele unerfahrene Rekru- ten waren. Reserven gab es nicht, die Ver- sorgung war unzureichend, die Armee- organisation chaotisch und die meisten Divisionskommandeure galten mit einem Alter von 60 und 70 Jahren für damalige Verhältnisse faktisch als Greise. Auch der
Zwei Nächte mussten die britischen Sol- daten ohne Zelte im Freien verbringen. Daher waren viele von ihnen erschöpft und krank, als das rund 60 000 Mann starke alliierte Expeditionskorps am 19. September 1854 den Marsch in Richtung Sewastopol aufnahm.
Schlacht von Alma
Nach einem Kavalleriescharmützel erreichten die Briten und Franzosen schließlich den Fluss Alma, wo sie erneut die Nacht im Feld verbrachten, um am nächsten Tag die russischen Stellungen anzugreifen. Der alliierte Schlachtplan sah vor, dass die Franzosen auf der lin- ken, die Briten auf der rechten Seite der russischen Verteidigungslinie angreifen sollten.