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Geschichte
Glückliche Ausreise,
ebensolche Wiederkehr
Die Reise des Matrosen-Artilleristen Josef Kraml von Cuxhaven nach China
Andreas von Klewitz
Läuft man in Cuxhaven von der einstigen Batterie Thomsen über Fort Kugelbake Richtung Hauptbahnhof, kann man sich vorstellen, welche Mühen der Matrosen-Artillerist Josef Kraml von der Stammabteilung Kiaut- schou gleich zu Anfang auf sich nehmen musste, als er im Januar 1908 seine Reise nach China antrat. Seine Aufzeichnungen geben auf 30 handgeschriebenen Seiten über die gesamte Unternehmung Auskunft.
Sie sind ein interessantes Stück Zeit- geschichte, nicht nur, weil sie die per- sönlichen Erinnerungen eines Dabeige- wesenen widerspiegeln, sondern auch einen Blick auf das damalige Deutsch- land werfen, das seit den 1880er-Jahren mit den anderen europäischen Kolonial- mächten um einen „Platz an der Sonne“ konkurrierte. Das hochsubventionierte Pachtgebiet Kiautschou, seit 1898 vertrag- lich für 99 Jahre an das deutsche Kaiser- reich gebunden, spielte dabei eine Son- derrolle. Es war keine Kolonie im eigent- lichen Sinne, sondern Flottenstützpunkt und Handelsniederlassung, und unter- stand nicht dem Reichskolonialamt, son- dern dem von Großadmiral Alfred von Tir- pitz geleiteten Reichsmarineamt. Wie der
Der Cuxhavener Bahnhof
Gouverneur stets Marineangehöriger war, gehörten auch die mit dem militärischen Schutz Kiautschous betrauten Einheiten der Marine an. So auch die Matrosen- Artillerie-Stammabteilung, zu der Josef Kraml gehörte. Was er erlebt hat und wie seine Odyssee ins Reich der aufgehen- den Sonne vonstattenging, hat er detail- liert beschrieben. Demnach standen ihm und seinen Gefährten nach einem kurzen Weihnachtsurlaub nur wenige Tage für die Reisevorbereitungen zur Verfügung, wel- che man mit „erhöhtem Eifer und Pflicht- gefühl“ zum Abschluss brachte. Am Frei- tag, den 11. Januar 1908 war es soweit. Nachdem man sich von den zurückblei- benden Kameraden verabschiedet und die Nacht ein letztes Mal in seiner Hänge-
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Das Tagebuch von Josef Kraml
matte verbracht hatte, wurde in den frü- hen Morgenstunden der Marsch Richtung Bahnhof angetreten. Kraml erinnert sich: „Nach kurzem angeregtem Schlafe erfolgte morgens 2 Uhr Wecken ,Reise Reise‘. Unsere Gedanken nochmals der uns ab und zu herb erschienenen Aus- bildungszeit widmend, hielten wir uns mit gut gespickter Vorratstasche zum Abmarsche klar, welcher nach Vollzählig- keitsmusterung 4.15 Uhr aus ‚Fort Thom- son‘ erfolgte. Nach einstündigem Mar- sche in Cuxhaven angelangt, schloss sich die Musikkapelle d. IV Artll. Abt. u. die I Comp. des Forts Kugelbake an. Mit kräf-


































































































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