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tigem Erfrischungsmarsche schritten wir in Begleitung unserer Bekannten durch die Stadt, dem Bahnhof zu. Unsern Abschied mit einem herzlichen Kusse bekräftigend, bestiegen wir frohen Herzens die Wagen- abteilungen . . .“
Unter brausendem Klang und Spiel setzte sich der Zug in Bewegung und erreichte nach einem Zwischenstopp in Olden- burg am frühen Nachmittag Wilhelms- haven. Hier erwartete die Ankömmlinge der Hapag-Passagierdampfer S.S. silViA, der, wie viele andere zivile „Ablösungs- dampfer“ von der Marine gechartert, seit 1902 als Truppentransporter für die Gar- nison in Kiautschou eingesetzt wurde. Für Kraml und seine Kameraden war die Ein- schiffung ein eindrückliches Erlebnis. So beschreibt er, wie das Schiff im reichen Flaggenschmuck im Hafen lag, allerdings auch, dass wenig Zeit für Muße blieb. Die Neuen wurden sogleich in Deck- und Backschaften eingeteilt, die Kleidersäcke aus den Waggons geladen und im Zwi- schendeck verstaut. Dann erschien eine Vertretung des Stations-Kommandos der Nordsee, die in einer feierlichen Anspra- che eine „glückliche Reise, ebensolche Wiederkehr“ wünschte. Gegen 17.30 Uhr wurden schließlich die Anker gelich- tet und die silViA von zwei Schleppdamp- fern aufs Meer hinausgezogen. An wür- diger Umrahmung fehlte es auch hierbei nicht. Um die Abreisenden auf das Kom- mende einzustimmen, hatte die Musikka- pelle des II. Seebataillons eigens an der Schleuse Aufstellung genommen und führte mit ihrem Spiel, wie Kraml schreibt, die Gedanken zurück an die „Freuden der Jugend“. Sicherlich wird nicht nur er Wehmut empfunden haben, auch für viele andere Angehörige der Cuxhave- ner Stammabteilung war es die erste Fern- reise auf einem Schiff, und noch dazu eine mit ungewissem Aufgang.
Was immer man auch empfand, als die sil- ViA mit Volldampf in den Jadebusen ein- lief, herrschte anfangs überwiegend Vor- freude auf das Unbekannte. In Kramls Rei- sebeschreibung ist am ersten Tag auf See
jedenfalls von großer Geselligkeit und leb- haftem Geplauder die Rede, wobei man sich, von „abenteuerlichen Vorstellun- gen und Ironien“ beflügelt, zum Abend- essen zusammenfand. Auch der zweite Tag begann in guter Stimmung. Nach- dem man um 6:30 Uhr geweckt worden war, wurde ein kräftiges Frühstück ein- genommen, zwei Stunden später aller- dings begann schon der „Eröffnungsakt der Seekrankheit“. Zudem kam es in der Nacht vom 12. auf 13. Januar zu einer Hava- rie, als im Maschinenraum ein Dampfrohr platzte. Glücklicherweise befand man sich bereits unweit von Dover, wo die Hapag eine kleine Reparaturwerft unterhielt. Da Truppentransportschiffe nicht in den Hafen einlaufen durften, musste die silViA auf Reede ankern, dafür konnte die Reparatur bis Mitternacht des 14. Januar abgeschlos- sen und zusätzlich 144 t Kohlen gebunkert werden. Weiter ging es Kurs Süd westlich der französischen Küste, am 18. Januar pas- sierte man Kap St. Vinzenz (Cabo de São Vicente), dann fuhr man an Gibraltar vor- bei ins Mittelmeer ein. Kraml hat das Erleb- nis ausführlich beschrieben. Ein Auszug: „Die Silvia schlug nun einen west-südwest- lichen Kurs ein. Wenn auch sehr undeut- lich, ließ sich die nordafrikanische Küste beobachten, die des Nachts bei klarem Sternenhimmel einen herrlichen Anblick gewährt. Die nebelfeuchte Witterung u. Kälte hatte sich gegenüber längs der fran- zösischen u. spanischen Küste wesentlich verändert, es war eine völlig trockne Brise eingetreten, welche neben bei gestattete, dass man sich bis Mitternacht auf Ober- deck aufhalten konnte u. dabei das wun- derbare Meeresleuchten mit Wellenspiel betrachten konnte . . .“
Am 20. Januar wurden die hohen Gebirgs- züge Algeriens gesichtet. Die See war ruhig, dafür machte sich zunehmende Wärme bemerkbar, welche die Leute leichte Tropenkleidung anlegen ließ. Kraml war von den vielen neuen Ansichten geradezu entzückt. Besonders erfreute er sich am Anblick der Hauptstadt mit ihren „in reichem Grün prangenden Gärten-
Fort Thomsen war eine Verteidigungs- anlage zwischen Duhnen und Sticken- büttel
Fort Kugelbake an der Elbmündung ist das letzte erhaltene Artilleriefort an der Nordsee
Geschichte
und Baum-Anlagen“. Auch die Bewoh- ner und die exotisch anmutende Architek- tur, schließlich die außerordentlich klare Luft und die sehr ruhige See erfreuten ihn. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Am 21. Januar wurde Tunis erwartet, blieb aber wegen starken Nebels unsichtbar. Die silViA lief an der Küste Nordafrikas vorbei, am 22. Januar passierte sie die italienische Insel Pantelleria, am 23. sah man die blin- kenden Leuchtfeuer von Malta. Am Folge- tag änderte sich dann das Wetter schlag- artig. Kraml erinnert sich:
„Am 24 Jänner hatte die ruhige See des mittelländischen Meeres eine Wendung genommen, mit dem Ausbruch eines furchtbaren Sturmwetters. Die Wellen schlugen haushoch über unser Schiff, wir waren noch im Begriff die Sonnensegel abzulassen, da schlug eine Welle gerade vor uns mit donnerähnlichem Krach nie- der u. wir danken nur der Geistesgegen- wart, dass wir uns noch schnell an dem Rauchseil festhielten, sonst würden wir von dieser Welle ins Wasser gespült worden. Unsere Silvia war unter diesen Umstän- den ein ganz hilfloses Schiff geworden, es krachte und stöhnte in allen Fugen . . .“ Da der Sturm unablässig tobte und erneut „Opfer der Seetollwut“ forderte, kam der Dampfer nicht mehr vorwärts. Erst am 25. wurde es vorübergehend ruhiger, aller- dings ließ der Kapitän wegen des starken Rollens und Stampfens Taue über Deck spannen. Es war eine berechtigte Vor- sichtsmaßnahme. Zwar durchbrach hel-
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