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Geschichte
Historische Postkarte aus Cuxhaven
kanische Wärme“, wie Kraml schreibt, nahm mit dem Einlaufen ins Rote Meer unerträgliche Formen an, außerdem erkrankten mehrere Leute an Bord, was trotz einer malerischen Aussicht auf den Berg Sinai die Stimmung nicht gerade hob. Am 31. erreichte die Temperatur Rekordhöhe, sodass man schon um 5 Uhr morgens förmlich im Schweiß badete. In derselben Nacht wurden bei Mond- schein die Städte Mekka und Medina und der Vulkaninselkomplex „12 Apos- tel“ passiert, um Mitternacht schließlich gelangte man in den Golf von Aden. Dort angelangt, musste man feststellen, dass einige in Port Said an Bord genommene Rinder infolge der extremen Hitze veren- det waren. Am 3./4. Februar kreuzte die silViA bei stärkerem Seegang den Indi- schen Ozean Richtung Colombo/Ceylon (heute Sri Lanka), am 6. Februar machte sich erneut Seekrankheit bemerkbar. Am 7./8. Februar herrschte abermals außeror- dentliche Hitze, der noch drei Exemplare des in Wilhelmshaven an Bord genomme- nen Zuchtviehs zum Opfer fielen. Als ob dessen nicht genug sei, gab es am Nach- mittag des 9. Februar obendrein Feuer- alarm. Kraml erinnert sich:
„Die Glocke zeigte Feuer im Mittel- schiff Zwischendeck II an. Mit der größ- ten Ruhe u. doch Schnelligkeit hatten wir die Schwimm-Westen über der Brust, und hoch gings ans Deck zu den Ret- tungsbooten; wir haben 12 Boote u. soll- ten 100 Mann in ein Boot kommen, was aber unmöglich ist; aber die militärische Ordnung hatten wir behalten, ein jeder guckte schon ins Meer hinaus, denken konnte man da nicht mehr, man wartete nur noch auf das Kommando ‚Alle Mann aus dem Schiff!‘“
Glücklicherweise war es nur eine Übung, sodass die Reise zügig fortgesetzt wer- den konnte. Am 10. Februar mittags stand man nur noch 54 sm von Ceylon ent- fernt, gegen 17 Uhr lief man in den Hafen von Colombo ein, wo die silViA inmitten einer großen Zahl von Handelsdampfern ankerte. Kraml war beeindruckt vom tro- pischen Sonnenuntergang, ebenso faszi- nierten ihn das nächtliche Leben und das Lichtermeer der Stadt. Am Folgetag war Landgang angesetzt, was eine ausgiebige Erkundung ermöglichte. Kraml berichtet: „Die Überfahrt zur Landesbrücke nahm eine Viertelstunde in Anspruch, mit gro- ßen Schritten gings durch die Landungs- hallen der Stadt zu, in die erste Haupt- straße, die mit ihren riesigen Bauten, brei-
Zur Erinnerung: Matrosen halten ihre Vereidigung im Jahr 1910 fest
ler Sonnenschein für kurze Zeit die Wol- ken und erlaubte das Beobachten von flie- genden Fischen, aber dann war es mit der Beschaulichkeit auch schon vorbei:
„Am 26. Jänner stellte sich abermals hefti- ger Sturm ein, der die Wellen auch wieder einige Meterhoch peitschte, überall kam Wasser in die Luken u. Zwischendecks, alle Kleider waren nass; die kolossalen Bewe- gungen des Dampfers nahmen derart zu, dass ein stehender u. liegender Aufent- halt ohne fest anzuhalten unmöglich war, u. alle Gegenstände die nicht nagelfest waren alle durcheinander fielen . . .“
Am Nachmittag desselben Tages war man nur noch 46 sm von Port Said ent- fernt, welches man aber wegen Nebels nicht erkennen konnte. Als es wieder sich- tiger wurde, kam der Lotse an Bord, und mit seiner Hilfe lief die silViA schließlich in den internationalen Hafen ein. Abermals
war Kraml von den Eindrücken überwäl- tigt. So beschreibt er Natur, Hafenanlagen und Einwohner in den schönsten Farben und schildert, wie die Eingeborenen nicht nur allerlei Früchte, Orangen, Mandari- nen und Ananas, sondern auch Ansichts- karten mit ägyptischen Marken an Bord brachten. Am 27. Januar wurde zu Kaisers Geburtstag Flaggenparade angelegt, die eigentliche Feier jedoch wegen Einlau- fens in den Suez-Kanal auf den Folgetag verschoben. 18 Stunden benötigte die sil- ViA bis zum Ende des Bittersees, unter- wegs zog die ägyptische-arabische Eisen- bahn vorbei, auch gab es zahlreiche Ein- heimische zu sehen, die mit ihren Kamelen an dem damals noch nicht fertigen Kanal arbeiteten.
Doch kaum hatte man die Durchfahrt ver- lassen, wartete bereits die nächste Her- ausforderung auf die Reisenden. Die „afri-
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