Page 179 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde.  167

       werden im Gedächtniss aufgespeichert, »schon jetzt gelegenthch repro-
       ducirt«  (woher  weiß Erdmann     das?)  oder  auch  unselbständig
       appercipirt, durch neue Wahrnehmungen angeregt.   >Das Band com-
       binirt Elemente der Erinnerungen zu neuen Gregenstandsvorstellungen.
       Es bildet abstracto Vorstellungen der constanten Merkmale einzelner,
       der gemeinsamen Merkmale verschiedener Gegenstände nach Maßgabe
       der Erfahrungen, die selbständig reproducirt werden oder apperceptiv
       mit neuen Wahrnehmungen verschmelzen können«.
          Schon diese allgemeine Schilderung der Yorentwicklung des kind-
       lichen intellectuellen Seelenlebens ist vollkommen willkürlich.  Ob das
       Kind Erinnerungen   oder  abstracto  Vorstellungen von Merkmalen
       selbständig  reproducirt,  lässt  sich  auf  keine  Weise  feststellen.
       Alle Beobachtungen weisen vielmehr darauf hin, dass vor dem spon-
       tanen Sprechen ein freies Reproduciren von Vorstellungen nicht vor-
      kommt.   Nur bei abnorm    spät sprechenden Kindern scheinen  sich
       Spuren davon zu finden.  Ferner ist der Ausdruck »Merkmale« hierbei
       so unpassend als mögHch gewählt, da wir unter Merkmalen logisch
      bearbeitete Elemente von Begriffen verstehen.  Die Bestandtheile der
      kindHchen Vorstellungen um den    12. Lebensmonat   sind aber von
      solchen Merkmalen toto genere verschieden.   Der  einzige Anhalts-
      punkt  dafür,  ob  das Kind   selbständige  Reproductionen um  die
      Wende des    ersten Lebensjahres  besitzt.  Hegt  vielleicht  in  seinen
      Träumen;   soviel mir bekannt ist,  sind aber Träume,  die von selb-
      ständiger Reproduction sicheres Zeugniss ablegen, erst aus beträcht-
      lich spätem Perioden berichtet worden.    (Einen Traum,  der  selb-
      ständige Reproduction vorauszusetzen scheint, theilt Wilhelm Ament
      mit; er wird datirt am 743. Lebenstage, fällt also schon ins 3. Lebens-
      jahr.  Ament,   Seite 85).  Wichtiger  ist noch  dies,  dass  die Ab-
      straction constanter »Merkmale« einzelner oder gemeinsamer »Merk-
      male« verschiedener Gegenstände durch nichts erwiesen werden kann.
      Alle ersten Versuche des Kindes,   seine Worte selbständig zu ver-
      werthen,  lassen  sich, wie ich später ausführhch zeigen werde, auf
      ganz andere Weise    deuten.  Bezeichnend  für  die Erdmann 'sehe
      Auffassung,  die  sicher nicht auf  eigener Beobachtung beruht,  ist
      ferner  die  einseitige Berücksichtigung der  intellectuellen Elemente
      der Sprachentwicklung.  Ich werde in den folgenden Ausführungen
      zeigen, dass die Thatsachen gerade das absolute Vorwiegen nicht-
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