Page 184 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann.
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vorherige Association zwischen dem "Worte des Vaters und dem Ge-
räusch lenkt die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Geräusch und
infolgedessen löst nun das objectiv vorhandene Geräusch eine locali-
sirende Bewegung aus. Vielleicht ist auch eine sehr primitive Orts-
vorstellung oder RichtungsVorstellung mit dem Uhrgeräusch verbunden
worden; nöthig ist diese Annahme aber nicht. Man müsste in allen
solchen Fällen zu einer eindeutigen Erklärung der Erscheinung erst
mittels einer Variation des Experimentes zu gelangen suchen. Ich
will hier bemerken, dass nach meinen eigenen Beobachtungen eine
räumliche Orientirung des Kindes überhaupt sehr früh eintritt.
Deutlichere Spuren von Sprachverständniss treten erst gegen das
Ende des ersten Lebensjahres auf. Mit zehn Monaten blickte das
Kind Taine's auf die Frage: »Wo ist der Großvater« nach dessen
mit Bleistift gezeichnetem Portrait und lachte es an. Mit elf Monaten
wendete es sich auf die Frage: »Wo ist Mama?« gegen die Mutter.
Hier muss natürlich ein Verständniss der Worte vorliegen, denn das
Verhalten des Kindes zeigt mehr als localisirende Bewegungen; es
sucht auch den rein optischen Eindruck auf, es äußert durch Freude
sein Wiedererkennen; gemüthliche Erregungen, die mit der Wahr-
nehmung des Großvaters verbunden waren, leben wieder auf bei dem
Anblick seines Bildes. Auch diese Vorgänge haben wir uns aber so
einfach wie möglich zu denken! Es wäre ganz falsch, zu meinen,
das Kind könne hierbei das Original mit dem vorgestellten Bilde ver-
gleichen, wie Taine meint. Wir haben keinen Anlass, mehr in dem
Vorgang zu sehen als die Wirkung einzelner Associationen: Mit dem
Worte »Mama«, »Großmama« oder »Papa« haben sich erstens Gesichts-
wahrnehmungen dieser Personen, zweitens Gefühlswirkungen (richtiger
vielleicht: Reflexe von Gefühlsäußerungen) associirt. Diese letzteren
leben wieder auf, wenn die Worte zugerufen werden, auch in der
Abwesenheit der Personen. Sie veranlassen die aufsuchenden Be-
wegungen und die Aeußerungen der Freude. Des weiteren verrathen
diese Beobachtungen nur, dass die Wahrnehmungen des Kindes schon
eine gewisse Genauigkeit besitzen oder dass seine Unterscheidungs-
fähigkeit in gewissem Maße entwickelt ist, denn das Original wird
im Bilde wiedererkannt und Taine fügt hinzu, dass das Bild der
Großmutter, welches weniger gut getroffen ist, keine Zeichen des
Wiedererkennens auslöst. Wir dürfen uns aber weder diese Wahr-