Page 477 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Beiträge zur Psychologie des Traumes. 465
(S. 49) dahin aus^ dass die Traumbilder nichts anderes sind als die
leuchtenden Phantasmen, welche vor dem Einschlafen bei geschlossenen
Augen in der Sehsinnsubstanz erscheinen. Er weist schon darauf
hin, dass sie meist den Charakter der Objectivität haben, aber doch
manchmal auch das Bewusstsein vorhanden ist, dass es sich nur um
Traumbilder handelt. Beim Eintritt des Schlafs konnte er vor allem
phantastische Gesichtserscheinungen beobachten, die er zurückführt
auf seine mit Aufmerksamkeitsanspannung verbundene Wahrnehmung
der Netzhautreize. Er gesteht wohl einen Uebergang dieser Phantas-
men in die Traumbilder des Schlafes zu, jedoch behauptet er aus-
drückHch, dass er sie auch zu anderer Zeit als nur vor dem Ein-
schlafen zu beobachten vermöge. Er identificirt also damit die von
den meisten Menschen gelegentHch wahrzunehmenden entoptischen
Erscheinungen mit den wesenthch selteneren phantastischen Gesichts-
erscheinungen beim Einschlafen und mit den optischen Traumvor-
stellungen selbst. Nicht alle Beobachter werden geneigt sein, so
weit zu gehen, wohl aus dem einfachen Grund, dass individual-
psychologisch sich hinsichtlich des Einflusses der entoptischen Reize
auf die Vorstellungen ebenso große Unterschiede finden, wie, augen-
scheinlich im Zusammenhang damit, auch hinsichtlich der sinnlichen
Lebhaftigkeit der optischen Vorstellungen überhaupt.
Eine Individualität, die als »Viseur« im ausgeprägten Maße an-
gesprochen werden darf, war Goethe. Bekannt ist die SteUe, in der
er von seiner Gabe spricht, bei geschlossenen Augen wülkürHch
allerlei phantastische Gesichtserscheinungen auftauchen zu lassen.
Damit steht in Uebereinstimmung jener von ihm mitgetheilte schöne
Traum, der geradezu ein typisches Beispiel der vielfach beschriebenen
Traumbeeinflussung durch die entoptischen Erscheinungen und Reiz-
zustände der Netzhaut darstellt:
ItaHenische Reise, Bologna, 19. October 1786 abends: »Indem ich
mich nun in dem Drang einer Seelenüberfüllung des Guten und
Wünschenswerthen geängstigt fühle, so muss ich meine Freunde an
einen Traum erinnern, der mir, es wird eben ein Jahr sein, bedeutend
genug erschien: ich landete mit einem ziemlich großen Kahn an einer
fruchtbaren, reich bewachsenen Insel, von der ich mir bewusst war,
dass daselbst die schönsten Fasanen zu haben seien. Auch handelte
ich sogleich mit den Einwohnern um solches Gefieder, welches sie
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