Page 23 - Volksdorfer Zeitung April 2017
P. 23
Karl Barkmann, Sprechkünstler und Rezitator
Aber das war nur die eine Sei- te seiner Persönlichkeit. Die an- dere Seite war die Kunst. Schon früh trat Barkmann als Sprech- künstler und Rezitator auf („Barkmann spricht Goethe“). Diese Hinwendung zu einem Leben, das den bürgerlichen Rahmen sprengte, war eben un- trennbar verbunden mit Geist und Praxis der Jugendbewe- gung. Bereits 1919 gründete er alseinerder„7Väter“zusam- men mit Knud Ahlborn die Ins- titution „Klappholttal“ auf Sylt. Er wurde durch zahlreichen Auftritte, u.a. mit Will Quad- ieg zur „Stunde des Advent“ Ende der 40er Jahre im Alto- naer Museum, aber auch land- auf – landab von Bad Pyrmont bis Bodenwerder, weit über die Grenzen der Siedlung und sei- ner Heimatstadt bekannt. Kri- tiker waren des Lobes voll für seine Auftritte („Ein erstklassi- ger Rezitator“), und die Ham- burger Tageszeitung „Die Welt“ schrieb am 21.9.1996 in einem Nachruf auf Karl Barkmann un- ter der Überschrift „ Karl Bark- mann wäre morgen 100 Jah- re alt“: „Der Kreis seiner Hörer
war zeitweise ganz beträcht- lich.“ Der Wensenbalkener Sprecher Barkmann verstarb am 40. Jahrestag der Volks- hochschule während eines Vor- trages von Hölderlins „Gesang des Deutschen“ am 5.Juli 1959 in dem von ihm so geliebten Klappholttal auf Sylt.
Wensenbalken war jedoch beileibe keine Insel der Seli- gen, an der die Zeitläufe un- beschadet vorübergingen. Das Wort des späteren Siedlungs- beauftragten Dr. Walter Stil- ler fasst das Eingebundensein der Siedlung in die Entwick- lung des Deutschen Reiches wie in einem Brennglas zusam- men, wenn er schreibt : „In die Entwicklung der Siedlung Wen- senbalken sind die allgemeine deutsche Geschichte seit Ende des1.Weltkriegesunddieloka- le Geschichte unlösbar mitein- ander verbunden“
Wensenbalken in der Nazi-Zeit
Am30.Januar1933kameine Anwohnerin ganz aufgeregt aus dem „Kaufhaus“, wie die Wen- senbalkener die Ladenzeile in der Siedlung nannten, und rief ihrer Familie bereits im Haus- ur zu : „Habt ihr schon ge- hört? Hitler ist Reichskanzler!“ Diese Entwicklung war jedoch durchaus im Sinne ihres Man- nes. Dieser, Lehrer und Reser- veof zier des 1. Weltkrieges, dem das Soldatische als Ar- tillerieleutnant durchaus ent- sprach, meinte, man solle den neuen Reichskanzler doch erst einmal machen lassen. Wenn es ihm gelänge, die Beschrän- kungen des Versailler Vertra- ges aufzuheben und die Wehr- macht bzw. Reichswehr aufzu-
werten, sei das durchaus wün- schenswert. Man müsse eben abwarten.
Rasch änderte sich das Zu- sammenleben im Wensenbal- ken. Die Zeiten der Künstler- feste und dadaistischen Sied- lerbälle, des zwanglosen Tref- fens in den großen Gärten und des Singens fröhlich-frecher Lieder zur Laute waren vorbei. Die Kinderfeste wurden von der NS-Frauenschaft straff orga- nisiert. Zu diesem Anlaß mar- schierte die Marine-HJ rund um den Lottbeker Platz, voran die Blaskapelle der „SS-Motor- schule Berne“. Es verschwan- den nach der „Machtergrei- fung“ im Laufe der Zeit die deutsch-nationalen schwarz- weiß-roten Fahnen und wurden durch die Hakenkreuzfahne er- setzt. Es verschwanden eben- falls die wenigen „Blitzbanner“ der „Eisernen Front“ und nach dem 1.Mai 1933 auch die einzi- ge Rote Fahne.
Die Wensenbalkener Ge- meindeschwester Erna Beh- ne schwärmte von der neuen „Volksgemeinschaft“ und der zuständige Gemeindepfarrer war von dem „unerschütterli- chen Glauben getragen, dass für unsere evangelische Kir- che mitten im Aufbruch unse- res Volkes eine neue Saatzeit angebrochen ist. Im Umbruch der Zeiten tritt der Privatmann mehr und mehr zurück, und an der Front steht der Volksgenos- se und das Volksglied.“
Darüber hinaus scheint es, als seien die Wensenbalkener nicht nur auf einer schiefen Ebene in den NS-Staat hineingerutscht, sondern hätten sogar den Ehr- geiz gezeigt als Mustersiedlung zu gelten. Bei den Sammlungen zum Winterhilfswerk bemüh- te man sich um besonders glän- zende Ergebnisse, ebenso bei der Gestaltung des „Eintopfes-
Uniformen prägten zu- nehmend das Straßen- bild in der Siedlung: „Im Umbruch der Zeiten tritt der Privatmann mehr und mehr zurück und an der Front steht der Volksgenosse und das Volksglied“
sen“ oder der Feier zum „Mut- tertag“. So ist auch die Aussa- ge eines ehemaligen Wensen- balkeners zu verstehen, der in der Rückschau sehr viel spä- ter schreibt : „Die Siedlung war eine feste Gemeinschaft gewor- den, zumal sie alle eine Alters- gruppe bildeten sowie gleicher Gesinnung und von gleichem Stand waren.“
Die „Volksdorfer Feldpost“ lobte 1944 den Heimstätter und Ortsgruppenleiter Hugo Mil- lahn mit diesen Worten : „ Par- teigenosse Millahn führte den Wensenbalken als eigene Orts- gruppe des Kreises Walddör- fer der NSDAP. Wie in Volksdorf gelang es ihm auch im Wensen- balken eine festgefügte und ein- satzfreudige Gemeinschaft aller Volksgenossen zu schaffen.“
7 Der 4. Teil der Serie erscheint am 3. Mai.
7 Eine ausführliche-
re Darstellung der Geschichte der Reichs- heimstätten-Siedlung Wensenbalken ist dem gleichnamigen Buch „WENSENBALKEN 1923- 2013: Auf der Suche nach einer kleinen Siedlung“ zu entnehmen.
Es kostet 17.50 € und
ist zu erhalten in der Buchhandlung I. von Behr in Volksdorf oder beim Autor Jens Koegel, Ohlendor s Tannen 56, 22359 Hamburg. E-Mail: jenskoegel@gmx.de.
7 Eine weitere Informationsmöglichkeit bietet die website : www. wensenbalken---archiv.de
April 2017 VolksdorferZeitung 23