Page 72 - Allgegenwärtige Herrlichkeit
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DIE TAKTIK DER CORYANTHES ORCHIDEEN

               Ist es einer Blume mög lich, sich der Neigungen eines Insekts be wusst zu
            sein? Ist es ihr mög lich, Pläne zu ent wer fen, um das Insekt zu be we gen, ihr
            in die Falle zu gehen und dem ent spre chende Än de run gen an sich selbst
            vor zu neh men? Zweifelsohne ist es weder einer Pflanze noch einem Insekt
            mög lich, sol che Taktiken als Ergebnis von ei ge nem Verständnis oder Willen
            an zu wen den. Wenn man sich je doch die Lebewesen in der Natur be trach tet,
            fin det man, dass oft eben sol cher lei Taktiken an ge wandt wer den.

               Die Coryanthes Orchidee ist solch eine Pflanze, die Insekten mit hilfe
            einer in ter es san ten Taktik in ihre Falle lockt. Das Fortpflanzungssystem der
            Orchidee be ruht dar auf, Insekten an zu zie hen und durch diese ihre Pollen
            zu ver brei ten. Die Blüten die ser Orchideenspezies wach sen in Büscheln.
            Jede Blüte hat zwei flü gel ar tige Kelchblätter, hin ter denen sich ein klei ner
            “Eimer” be fin det. Wenn sich die Blüten öff nen, be ginnt eine spe zi elle
            Flüssigkeit, die von zwei be son de ren Drüsen se kre tiert wird, in die sen
            Eimer zu trop fen. Nach kur zer Zeit ver brei tet die Blume einen Duft, den die
            Bienen un wi der steh lich fin den.

               Wenn die Orchidee in Blüte steht, wer den die Arbeiterbienen durch den
            Duft an ge lockt und um krei sen die Blume. Während sie an den senk rech ten
            Rändern der Orchidee zu lan den ver su chen, su chen sie in dem röh ren för mi -
            gen Abschnitt der Blüte, der jenen Behälter mit dem Stengel ver bin det nach
            einer Stelle, wo sie sich mit ihren Beinen fest klam mern kön nen. Dieser Teil
        ALLGEGENWÄRTIGE  HERRLICHKEIT  Boden des Blütenkelchs.
            je doch ist sehr rut schig und steil, und so fal len die Bienen die im Kelch her -
            um krie chen un wei ger lich in den, mit der Flüssigkeit ge füll ten Eimer am



               Von dort gibt es für die Biene, die hin ein ge fal len ist, nur einen Weg nach
            außen. Ein enger Tunnel führt zur Vorderwand der Blume, d.h. ans
            Tageslicht. Bis das Insekt sei nen Weg ge fun den hat, der auf der glei chen
            Ebene liegt, wie die Flüssigkeit in die es ge fal len ist, schwimmt darin
            umher. Während das Insekt sich be müht, den Ausgang zu fin den, pas siert
            es unter der Narbe, wo sich die Pollen an den männ li chen Organen der
            Blume be fin den. Zu die sem Zeitpunkt blei ben zwei Pollensäcke am Rücken




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