Page 20 - Materie: Ein anderer Name für Illusion
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Ein Mensch, der ein kleines Kind betrachtet, während es mit einem Ball spielt, sieht es tatsächlich nicht mit seinen Augen. Die
Augen sind nur dafür verantwortlich, das Licht auf die Netzhaut zu leiten. Wenn das Licht die Netzhaut erreicht, bildet sich
ein seitenverkehrtes, zweidimensionales Bild des Kindes auf ihr. Dann wird dieses Bild in einen elektrischen Strom umgewan-
delt, welcher dem Sehzentrum an der Rückseite des Gehirns übermittelt wird, wo das Bild des Kindes tadellos in dreidimen-
sionaler Form gesehen wird. Wer aber sieht das dreidimensionale Bild des Kindes in vollkommener Klarheit an der Rückseite
des Gehirns? Offenbar ist das, wovon wir hier sprechen, die Seele, die ein Wesen jenseits des Gehirns ist.
Trotz dieses einfachen Beispiels ist der Sehvorgang tatsächlich ein überaus komplizierter Prozess. Lichtstrahlen
werden in elektrochemische Impulse umgewandelt und bilden eine dreidimensionale, farbige und helle Welt. R. L.
Gregory, Autor des Buches "Eye and Brain" (Auge und Gehirn), erklärt die großartige Struktur des Sehsystems fol-
gendermaßen:
Man bedenke, dass wir kleine, verzerrte und auf dem Kopf stehende Bilder durch die Augen erhalten, und was wir
sehen sind solide Objekte in einer räumlichen Umgebung. Von den Reproduktionsmustern auf der Netzhaut neh-
men wir die Welt der Objekte wahr, und das ist eigentlich ein Wunder! 2
All dies führt uns immer wieder zu derselben Erkenntnis: Wir nehmen an, dass die Welt sich außerhalb von uns be-
findet. Doch die Welt ist in uns. Obwohl wir glauben, dass die Welt sich außerhalb von uns befindet, sehen wir die Welt
in einem winzigen Punkt innerhalb unseres Gehirns. Der Chef eines Unternehmens kann das Gebäude, sein Auto auf
dem Parkplatz, sein Haus am Strand, seine Jacht, und alle Menschen, die für ihn arbeiten, seine Rechtsanwälte, seine Fa-
milie, und seine Freunde so betrachten, als ob er mit der ausserlichen Existenz von diesen einen direkten Kontakt hat. Je-
doch sind all dies nur Bilder, mit denen er konfrontiert ist, die innerhalb seines Kopfes an einem winzigen Punkt im
hinteren Teil seines Gehirns entstehen. Er kennt nie die wahre Essenz der Materie in der Aussenwelt.
Dieser Mensch hat keine Ahnung von dieser Tatsache, selbst wenn er es wüsste, würde er nicht darüber nachden-
ken. Wenn er mit seinem neuen luxuriösen Auto stolz vor seiner Firma steht, und wegen des Windes ein Staubkorn in
sein Auge gelangt, kann er diese Tatsache sofort begreifen. Wenn er sein Auge reibt, während es offen ist, wird er
sehen, dass das Gebäude seiner Holding sich auf und ab oder nach rechts und links bewegt. Genau in diesem Moment
versteht ein denkender Mensch, dass das was er sieht, keine solide Existenz außerhalb von ihm selbst ist.
Es ist eine Tatsache, dass jeder Mensch sein ganzes Leben lang alles in seinem Gehirn sieht, und dass er niemals
die Originale dieser Objekte erreichen kann. Die Bilder, die wir sehen, sind Kopien der Objekte in unserem Gehirn,
die außerhalb von uns existieren. Wir können die Originale dieser Kopien nie wissen.
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