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Institut für Soziologie, Bereich Geschlechtersoziologie & Gender Studies



































                                  Warum Gender Studies?


































                                                                                                      Gender Studies verstehen sich als kritische  Wissenschaft  in  einem doppelten  Sinn.  Erstens




                                                                                                      betrachten  sie  Wissenschaft  als  gesellschaftlich  relevantes  und  verantwortungsvolles  Unter-




                                                                                                      nehmen, das den Abbau von Leid, Gewalt und Herrschaft anzustreben hat; zweitens stehen sie




                                                                                                      der  Wissenschaft  selbst  kritisch  gegenüber.  Ein  wesentliches  Thema  ist  daher  die  Wissen-




                                                                                                      schafts-  und  Erkenntniskritik,  d.  h.  die  Arbeit  an  genau  jenen  Fragen,  die  von  der  vorherr-




                                                                                                      schenden Wissenschaft ausgeblendet werden – etwa die Kritik der Annahme, dass der weiße




                                                                                                      Mann  den  ‚Normalfall‘  des  Menschen  darstellen  würde,  von  dem  alle  anderen  abweichen




                                                                                                      (Androzentrismus/White Supremacy). Gender Studies richten diesen kritischen Blick allerdings




                                                                                                      immer auch auf sich selbst, dementsprechend breit wird heute über durch den Fokus auf die




                                                                                                      Kategorie  Geschlecht  bedingte  ‚blinde  Flecken‘,  also  etwa  auf  die  Ausblendung  ethnisierter




                                                                                                      Differenzen  im  nationalen  und  globalen  Rahmen,  diskutiert.  ‚Intersektionalität‘  ist  hier  ein




                                                                                                      zentrales Stichwort.
























                                          Aus der Bewegung …                                                                                                                          … für die Wissenschaft …                                                                                                                                … und darüber hinaus




                                          Entstanden  ist  feministische  Wissenschaft  im                                                                                            Gender  Studies  bereichern  die  Wissenschaft  in                                                                                                      Wissen  um  Geschlechterverhältnisse  ist


                                          deutschsprachigen Raum in den 1980er Jahren                                                                                                 vielfacher  Hinsicht.  Erstens  durch  Kritik:  Sie  richten                                                                                            nicht  nur  in  der  Wissenschaft  relevant,



                                          aus  der  Frauenbewegung  –  vielerorts  zunächst                                                                                           den kritischen Blick auf die Wissenschaft selbst, die                                                                                                   sondern ebenso in Politik und Wirtschaft,


                                          auf  Initiative  feministischer  Studierender,  die                                                                                         sie  als  soziales  Unterfangen  begreifen;  auf  die  Wahl                                                                                             im  Journalismus  oder  in  allen  sozialen



                                          nicht bloß interdisziplinär, sondern auch über die                                                                                          ihrer  Forschungsobjekte,  auf  ihre  Fragestellungen,                                                                                                  Berufen.                     Mit             unserem                       alltäglichen


                                          Grenzen  der  Universitäten  hinaus  aktiv  waren.                                                                                          ihre  Perspektiven,  Theorien  und  Methoden.  Feminis-                                                                                                 Wissen  –  unseren  Erfahrungen  und  An-



                                          Zunächst als ‚akademischer Arm‘ dieser sozialen                                                                                             tische Wissenschafts- und Erkenntniskritik fragt u. a.                                                                                                  nahmen  dazu,  wie  Männer  und  Frauen


                                          Bewegung  verstanden,  entwickelte  sich  in  den                                                                                           nach  der  (Un-)Möglichkeit  von  ‚Objektivität‘  oder                                                                                                  ‚sind‘,  was  als  ‚natürlich‘  zu  gelten  hat



                                          folgenden  Jahrzehnten  das  Verhältnis  oft                                                                                                ‚Wahrheit‘ und nach den Zusammenhängen zwischen                                                                                                         usw.  –  stoßen  wir  schnell  an  Grenzen


                                          konfliktreich.  An  den  Anfängen  feministischer                                                                                           der sozialen Position von Forschenden (z. B. Gender,                                                                                                    und können kaum über das Bestehende



                                          Forschung stand die kritische Analyse ungleicher                                                                                            Race,  Class)  und  ihren  Erkenntnissen.  Da  sich                                                                                                     hinausdenken. Für den Abbau von Diskri-


                                          Geschlechterverhältnisse – oft ein erstes Hinein-                                                                                           Wissenschaft  stets  durch  Kritik  weiterentwickelt,  ist                                                                                              minierung, von Ausschlussmechanismen



                                          reklamieren  von  Frauen  in  die  Wissenschaften                                                                                           das ein ganz zentraler Punkt.                                                                                                                           und Ungleichheit braucht es Wissen, das


                                          überhaupt.                                                                                                                                  Zweitens bringen Gender Studies neue Themen, neue                                                                                                       darüber hinausgeht und das der Komple-



                                          Mit dem Aufkommen von poststrukturalistischen                                                                                               Perspektiven und Fragestellungen in den Diskurs ein.                                                                                                    xität  von  Geschlecht  und  Geschlechter-


                                          und  queeren  Theorien  seit  den  1990er  Jahren                                                                                           Ein Beispiel dafür ist das Thema Reproduktion – also                                                                                                    verhältnissen gerecht wird.



                                          hat  sich  dieser  Fokus  stark  verändert  und                                                                                             Hausarbeit,  Betreuung  und  Pflege  bzw.  Care  –,  das


                                          erweitert  –  hin  zur  Frage,  wie  Geschlechter                                                                                           für Debatten um kapitalistische Ökonomie, Produktion



                                          überhaupt  konstruiert  werden.  Parallel  dazu                                                                                             und  Arbeit  zentral  ist.  Ein  anderes  Beispiel  sind


                                          erfolgte  häufig  auch  die  Neudefinition  der                                                                                             Theorien  der  Intersektionalität,  die  sich  mit  der



                                          Fachrichtung  als  ‚Gender  Studies‘  anstelle  von                                                                                         Verwobenheit  unterschiedlicher  Dimensionen  von


                                          ‚Frauenforschung‘.  Heute  haben  sich  Gender                                                                                              Diskriminierung/Privilegierung beschäftigen und eine



                                          Studies  an  vielen  Universitäten  in  unterschied-                                                                                        wichtige  Perspektive  in  die  Forschungen  zu  sozialer


                                          licher,  wenn  auch  fast  immer  prekärer  Form                                                                                            Ungleichheit  einbringen.  Drittens  entwickeln  Gender



                                          institutionalisiert  –  geblieben  ist  der  kritische                                                                                      Studies  neue  Zugänge  für  konkrete  empirische


                                          Anspruch,  der  Wunsch  eine  Wissenschaft  zu                                                                                              Forschungsarbeit.  Ein  geschlechterkritischer  Blick,



                                          betreiben, die das Bestehende kritisch analysiert                                                                                           der niemals nur Frauen, sondern stets auch Männer


                                          und Möglichkeiten zur Veränderung aufzeigt.                                                                                                 und  Männlichkeiten  bedenken  muss,  verändert



                                                                                                                                                                                      Analysen und führt zu neuen Erkenntnissen.













































































                                          Quelle: Evangeline Adler-Klausner, Daniela Jauk, Stefanie Mayer, Elli Scambor (2016):

                                          gleichberechtigte  Wissenschaft  –  fundiert  argumentieren  für  Gender  Studies;

                                          herausgegeben  von  der  Koordinationsstelle  für  Geschlechterstudien  und

                                          Gleichstellung der Universität Graz für die GENDERPLATTFORM.
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