Page 11 - Ventil165_April2020
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Deutschland und sprechen mit dem Transportbüro für   schielt er mit einem Auge auf einen museumsreifen 40
         den Rücktransport unserer Motos. Für Sonntag gibt es   Jahre  alten  schwarz/weiß  Fernseher,  der  Empfang  ist
         noch bezahlbare Tickets, Freitag sollen die Maschinen   schlecht mit Geisterbild und Schnee, aber mit Ton. An
         verladen werden. Letzteres klappt, die Flüge nicht, sie   einem der kleinen Straßenstände kaufen wir testweise
         werden am Freitagabend von der Fluggesellschaft stor-  zwei frittierte Hähnchenbollen von den Quechua-Mädels.
         niert. Was machen? Am Samstag fahren wir einfach so   Die Hähnchen schmecken nach viel mehr und so machen
         zum Flughafen und hoffen auf Standby Passagen. Irgen-  die beiden Damen sicherlich ihr bestes Geschäft an die-
         detwas geht immer. Das klappt auch, denn Corona ist auf   sem Tage. Wir setzen uns in ihren Stand. Mit Coca Cola
         unserer Seite, viele Passagiere erscheinen wegen der dro-  in der einen, Hähnchen in der anderen Hand betrachten
         henden Ausgangssperre nicht zum Abflug. Da ich nicht   wir ihre Geschäftigkeit. Ihre reservierte Haltung schlägt
         so sehr an unser Glück geglaubt habe, habe ich mein   bald um und so kommt man in‘s Gespräch. Sie sind be-
         Gepäck im Hostal zurück gelassen. Jetzt suche ich einen   geistert von unsere Körpergröße. „Das kommt, weil wir
         willigen Taxifahrer, der mich rasend schnell zum Hostal   so viel Fleisch essen“ sage ich. Sie antwortet, sie essen
         und zurück zum Flughafen fährt. Ich habe eine knappe   auch sehr viel Fleisch, aber bei ihnen geht es in die Breite,
         Stunde Zeit bis zum Abflug, die einfache Fahrt dauert   dabei auf ihre Hüften hinweisend. Wir amüsieren uns alle,
         aber schon 25 Minuten. Der Fahrer nimmt Anteil und   woraufhin die beiden gestehen, dass blaue Augen und
         rast mit 160 Sachen über die Autobahn, wo nur 80-100   blonde Haare ihren Traummann ausmachen.
         erlaubt sind. Am Hostal hetze ich die Treppen rauf, raffe   Vor unserem Tagesziel Coroico liegt der äußerst ungemüt-
         meine Klamotten zusammen und benötige tatsächlich    liche Pass La Cumbre (die Spitze) auf 4725m Höhe. Das
         nur drei Minuten bis ich wieder hechelnd im Auto sitze.   Wetter dort ist unberechenbar und kann sich innerhalb
         Der Fahrer schafft so die beiden Strecken in sagenhaften   kurzer Zeit von einem warmen, softigen Wind in ein
         30 Minuten. In vollbesetzten Fliegern geht die Reise über   Schneetreiben verwandeln. Bei nicht angepasster Klei-
         Santiago de Chile und Madrid nach Frankfurt. In den elf   dung hat sich dort schon mancher Motorradfahrer eine
         Stunden über den Atlantik, im bis auf den letzten Platz   blaue Haut geholt, da es auf beiden Seiten jenseits des
         vollbesetzten  Dreamliner,  bewege  ich  mich  vorsichts-  Cumbre mit sonnigen 30 Grad sehr trügerisch sein kann.
         halber nicht aus dem Sitz. Entsprechend groß war der   Coroico ist ein kleiner, netter Ort mit unbefestigten Stra-
         Druck bei der Ankunft in Madrid. Dort ist der Flughafen   ßen, aber einem angenehmen Park und einigen Cafés.
         leer, die meisten Toiletten geschlossen. Das Terminal ist   Man trifft ein paar Rucksacktouristen. Das Hostal heißt
         zu wechseln für den Anschlussflug nach Frankfurt. Die   „Sol y Luna“ und liegt oberhalb des Ortes, abenteuerlich
         Schlange für den Bus ist endlos, also Taxi. Diese dürfen   erreichbar über einen Privatweg, der von der böse ge-
         wegen der Epidemie jeweils nur einen Passagier mitneh-  pflasterten Ortausgangsstraße in einer Spitzkehre rechts
         men für Euro 20, also 120 für sechs Fahrten. Zu teuer.   über einen Huckel abbiegt. Erst holpert man über eine
         Also doch Bus. Auch die Lufthansa ist froh, ihren Flieger   schmale Brücke, dann folgen tiefe, glitschige Spurrillen
         voll zu bekommen - Corona lässt grüßen! In Frankfurt   in denen das Wasser nach einem Regen lange stehen
         angekommen, werde ich von meiner Frau Nitzia abgeholt   bleibt, dann direkt eng durchs Gebüsch und nach einer
         und sofort verdammt zu häuslicher Quarantäne. Es stellt   unübersichtlichen Kurve kommt eine sehr steile Auffahrt,
         sich ein paar Tage später heraus, dass sich zwei meiner   die man besser mit Karacho angeht, um nicht auf halber
         Begleiter  auf  der  Rückreise  aus  Chile  infiziert  haben.   Distanz elendig „zu verhungern“. Das wäre ganz schlecht.
         Allerdings mit glimpflichem Ausgang.....             Oben angekommen ist der Platz zum „Anlanden“ beengt
                                                              und schief und man weiß nicht wohin mit der Mühle.
         Schon eine Woche vorher beim Grenzübertritt von Chile   Sol y Luna wird betrieben von einem älteren deutschen
         nach Bolivien begegnet uns Corona. Von jeder Person   Ehepaar aus der Berliner Szene in den Revolutzerjahren
         wird die Körpertemperatur gemessen und sorgfältig zu-  der 60er. Es hat einen wunderbaren, riesengroßen Gar-
                                sammen mit der Passnummer     ten, romantische Zimmer und eine besondere „Suite“, die
                                notiert – für den Fall der Fälle.   ich beziehen durfte, weil der Weg hinauf besonders weit
                                Das  Geld  wechselt  man  bei   und steil verlief. Das Schleppen
                                bolivianischen Damen. In den   meiner beiden Taschen wird zu
                                Tiefen  ihrer  Röcke  tragen  sie   einer  Tortur,  die  Pumpe  häm-
                                viele Sorten von Devisen, die   mert,  dafür  aber  Himmelbett
                                mit Hingabe und Beflissenheit   mit Moskitonetz, Toilette und
                                mehrfach  abgezählt  werden.   Dusche  draußen  im  Dschun-
                                In  der  Handtasche  ein  alter   gel.  Des  Nachts  kommen  die
                                abgewetzter  Taschenrechner,   Bettwanzen  aus  dem  Holz  heraus,  bemächtigen  sich
                                der den Kurs bestimmt.        der warmen Körperhaut. Wir alle sind nach zwei Tagen
                                Es  geht  durch  La  Paz,  einem   zerstochen und zerbissen, aber dieser paradiesische Ort
                                Moloch von Straßen und Fahr-  wiegt die negativen Seiten auf. Nach dem letzten Trunk
         zeugen auf 3600 Höhenmetern. Bei der Durchfahrt wäre   finde ich in der Dunkelheit so grad den Weg hinauf,
         man ohne Navi komplett aufgeschmissen. Am Ortsaus-   falle über Wurzeln, stolpere an Stufen und muss eine
         gang ist eine Kontrollstation eingerichtet. Der kontakt-  Verschnaufpause an der letzten Biegung einlegen. Es
         freudige Ranger dort heißt Ronaldo. In seinem Kabuff   hat angefangen zu regnen, die fallenden Wassertropfen
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