Page 12 - Ventil165_April2020
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erzeugen ein sanftes Rauschen im Wald. Als ich wohl da- berichtet er uns, der peruanische Präsident habe heute
nieder liege, öffnen sich die Schleusen, was folgt ist ein eine totale Ausgangssperre für mindestens zwei Wochen
schweres Gewitter, vier Stunden kracht und blitzt es, das verhängt, sie gilt ab morgen! Ich kann es kaum fassen,
Wanzenbett wackelt, der Regen prasselt auf das Blech- frage den nächsten Polizisten auf der Straße, welcher
dach und ich fühle mich dem Himmel nah. Am nächsten mir diese Anordnung ungerührt bestätigt. Was tun? Wir
Morgen geht die Sonne hinter den wollen nicht die kommenden 14 Tage in diesem ollen Ho-
Wäldern auf, als wäre nichts gewe- stal verbringen. Also werden alle Fahrer um Mitternacht
sen. Der Blick vom Himmelbett aus geweckt, informiert und wir beschließen früh um fünf auf
über die grünen Berge Boliviens ist die Mopeds zu steigen und zu versuchen uns gen Chile
ein Traum schlechthin. Wir wollen durchzuschlagen - viele Fahrer, ein Plan, es muss zumin-
die bekannte Todesstrasse fahren, dest ein Karenztag gelten. In der Dunkelheit des frühen
den „Camino de la Muerte“, aber mit Blick auf meinen Morgens also raus aus den elenden Betten und los. Es
platten Hinterreifen wird klar, die Abfahrt verzögert sich. ist ruhig, wenig Betrieb. Gut dass es bei Abfahrt regnet,
Der Camino ist teils sehr schmal und es passen oft zwei so haben wir wärmende Regenklamotten an, denn die
Wagen nicht nebeneinander her. Dann muss der bergauf Fahrt geht über rund 250km auf 4000m Höhe durch ei-
Fahrende zurücksetzen. Es herrscht dort ein Linksfahrge- nen Teil der peruanischen Anden, anfangs ziemlich kalt,
bot, so hat man hinauf immer den Berg auf der Kupp- stellenweise nahe null Grad, aber eine wirklich schöne
lungsseite - es gibt keine Kehren - rechts bei der Bremse Strecke, fast ausschließlich Asphalt. Kai übernimmt die
geht es 1000m und mehr fast senkrecht bergab. Kracht Führung und wir kommen gut voran
man dort hinunter ist man für immer verschwunden, – 16 Motorräder und der Versor-
die tropische Vegetation schluckt alles und schließt sich gungswagen in einer 2km langen
sofort hinter jedem der da abstürzt. Trotz des Regens Schlange. Kein Verkehr. Tanken nach
während der Nacht ist es trocken, die Piste fest und 200 km, dann weiter ohne Pause der
glücklicherweise nicht rutschig. Auch die Mountainbiker chilenischen Grenze entgegen, Ziel
haben die Herausforderung des Caminos angenommen ist Arica gleich dahinter. Wir wedeln
und rasen in Schwärmen möglichst ungebremst und wild um die Kurven, rauf und runter, als es
den Berg hinunter, halten sich an kein Gebot, um den gerade am schönsten ist und richtig
maximalen Thrill zu erreichen. Nicht zu erwähnen, dass eingeübt gibt es eine Zwangspause:
die wirklich atemberaubende Berglandschaft die Gefahr schon wieder ist mein Hinterreifen platt, nun zum dritten
des Weges vergessen lässt. Mal, verdammt und zugenäht! Ich lerne auf dieser Tour
Tags drauf, es ist Sonntag, geht es zurück über den heute innerhalb von 20 Minuten das Rad samt Schlauch aus-/
ziemlich kalten Cumbre und wieder durch La Paz zum einzubauen - das richtige Werkzeug ist der Schlüssel zum
Titicacasee. Er liegt 3812 m über dem Meeresspiegel, ist Sieg. Schließlich erreichen wir nach 450km strammer
etwa 15mal so groß wie unser Bodensee und im Schnitt Fahrt am späten Nachmittag die Grenze. Es gibt dort
etwa 100m tief, aber sehr verschmutzt. Er gehört zu Bo- einen ziemlichen Auflauf und es dauert ein paar Stun-
livien, der größere Teil zu Peru. Mal wieder spät dran, da den mit dem Papierkram. Wieder wird die Temperatur
mein Hinterreifen schon wieder platt war, erreichen wir gemessen und notiert. Die Zöllner bestätigen, dass die
den See. Es dämmert. Die etwa 20 minütige Überfahrt Grenze um Mitternacht geschlossen wird. Des Abends
an der schmalsten Stelle gelingt auf flachen Booten mit kommen wir in Arica an. Die Husquarna kann nicht mehr.
kleinem Außenborder. Ich parke mein Moped ganz vorn Schafft sie die letzte Etappe bis nach Iquique? Nein,
und erkenne zu spät, dass man vorne nicht raus fahren sie schafft es nicht. Der besagte LKW macht 30 km vor
kann. Die Motos stehen auf schmalen Holzbohlen, zwei Iquique auch schlapp und wir müssen die Karre mit dem
Reifen breit. Nach Ankunft auf der anderen Seite ist es Tourtransporter dort selber abholen......
echte Arbeit diese rückwärts herauszuschieben und zu
wenden, immer die Gefahr, dass es zwischen die Bohlen Eckard Grütters
ins Wasser kippt. Aber es klappt mit vereinten Kräften.
Die Lichter der Häuser am Ufer verbreiten einen roman-
tischen Hauch von Mittelmeer.
Tags drauf wieder Grenze, wieder wird Corona-Fieber
gemessen und aufgeschrieben, dieses Mal auf perua-
nischer Seite. Bei über 38 Grad Körpertemperatur wür-
de die Einreise verweigert. Wir logieren am Rande des
Titisees in Puno in einem feuchten, abgewetzten Hostal
- kein Ort für lange Aufenthalte. Aber es gibt zumindest
warme Duschen. Es ist ein Ausweichquartier, das anvi-
sierte Quartier hatte kein Wasser und wurde deswegen
geschlossen. Abends genehmigen wir uns in kleiner,
gemütlicher Runde ein paar Pisco Sour bis eine Stunde
vor Mitternacht Eduardo, unser Hostal-Vermieter anruft,
wo wir seien, er komme vorbei. Nach ein paar Minuten
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