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SCHACHGESCHICHTE
sPUREN DER HISTORISCHEN ENTWICKLUNG DER SCHACHIDEEN
Teil 1:
Von den Anfängen zum arabischen Schach
IM Herbert Bastian
Vorab wäre die Frage zu klären, was überhaupt mit dem Begriff „Schach- idee“ gemeint ist. Dies lässt sich an einem simplen Beispiel verdeutlichen:
XABCDEFGHY 8 + + + +( 7+ + + + ' 6 + + + +& 5+ + + +r% 4 + mK + +$ 3+ + + + # 2 + + + +" 1+ + tr + ! xabcdefghy
Wenn ich Neulingen in meiner Schach- AG an der Leonardo-da-Vinci-Gemein- schaftsschule Riegelsberg die Aufgabe stelle, den weißen König mattzusetzen, scheitern sie regelmäßig. Dies liegt vor allem daran, dass sie jeden Zug einzeln für sich planen und die Bewegungen der Türme nicht koordinieren und auf ein ge- meinsames Ziel hinwirken lassen (= an den Rand treiben, z.B. mit Rollenwechsel von „Jäger“ und „Wächter“). Man kann sagen, dass sie keinen zielgerichteten Zusammenhang zwischen den einzel- nen Zügen herstellen. Daraus lässt sich eine einfache Definition des Begriffs „Schachidee“ herleiten, die für die wei- tere Diskussion ausreicht:
Wenn man gerade erst oder immer noch mit voller Energie die Turnierpra- xis sucht, ist man so sehr mit dem Er- wirtschaften von halben und ganzen Punkten zur Pflege der DWZ oder Elo- Zahl beschäftigt, dass man selten Gele- genheit dafür findet, der Frage nachzu- gehen, wie die so gerne angewendeten Schachideen eigentlich entstanden sind. So erging es auch mir, obwohl die- se Frage stets in mir bohrte und keine Ruhe gab. Sicher hatte ich schon sehr viel über Schachgeschichte gelesen, üb- rigens waren einige sehr interessante Beiträge aus alten Jahrgängen der „Ro- chade“ dabei, aber es reichte nie für ein systematisches Verständnis der Ideen- geschichte des Schachs.
Irgendwann nach 2005 intensivierte sich dann der Kontakt mit dem Schach- historiker Dr. Michael Negele und das war wie purer Sauerstoff für einen glimmenden Span: mein Interesse für Schachgeschichte wurde zu einem lo- dernden Feuer, das immer neue, uner- schöpfliche Nahrung fand. 2015 gelang esmir,Dr.MichaelNegelealsBeauftrag- ten für Schachgeschichte und Schach- kultur des DSB zu gewinnen, was zahl- reiche, sehr gründlich recherchierte Beiträge zur Folge hatte, die auf der Webseite des DSB publiziert wurden. Diese Beiträge befassten sich vor allem mit mehr oder weniger bekannten Per- sönlichkeiten der deutschen Schachge- schichte des 19. Jahrhunderts und fin- den zwar mein Interesse als Leser, aber sie tragen weniger zum Verständnis der Entwicklung der Schachideen bei.
Der nächste Schub erfolgte auf dem A-Trainer-Fortbildungslehrgang im Herbst 2014 in Berlin. Ich hatte einen Vortrag zum Endspiel König und zwei Springer gegen König und Bauer vorbe- reitet und war dabei auf interessante De- tails gestoßen, über die ich zu einem an- deren Zeitpunkt umfänglich berichten werde. In der Diskussion mit dem füh- renden Endspieltheoretiker Dr. Karsten Müller kamen wir damals darauf, dass über die Geschichte der Endspieltheorie noch relativ wenig bekannt ist.
Karsten und ich schlugen uns gegensei- tigvor,etwasdarüberzuschreiben,aber damals betrachtete ich meinen Kennt- nisstand als dermaßen unzureichend, dass ich das für nicht machbar hielt. Wenig später kontaktierte mich Harry Schaack auf Vorschlag von Karsten, und wir kamen überein, dass ich den Beitrag „Endspielideen“ verfasste, der im kultu- rellen Schachmagazin „Karl“ 2/2015, S. 44-51 erschien.
Inzwischen konnte ich mir einen wesent- lichen besseren Überblick über klassi- sche Schachwerke verschaffen, so dass mein Verständnis der Thematik etwas gewachsen ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass den Leser nun eine wissen- schaftlich korrekte und vollständige Ausarbeitung erwartet. Andere, mehr spezialisierte Autoren könnten das viel besser.
Ich möchte mich auf Spurensuche ma- chen und Anregungen liefern, die an- dere vielleicht dazu inspirieren können, meine ersten Versuche zu verbessern und zu vervollständigen.
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R O C H A D E E U R O PA MAI 2017
“Eine Schachidee ist dann gege- ben, wenn zwischen mehreren Zügen ein zielgerichteter Zusam- menhang erkannt wird.”