Page 92 - Dez2017
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Stattdessen lernt sie mit Egon junior für die Jagdprüfung, überlegt mit ihm, wie er seinen Honig vermarkten kann. Inzwischen wird er unter dem Label „Egon Müller“ im örtlichen Edeka verkauft – als teuerster Honig im Regal. Müller hofft, dass sein Sohn auf einem guten Weg ist. „Letztendlich ist ja das, wofür man arbeitet, die Übergabe an die nächste Generation.“
Am nächsten Morgen, dem dritten Tag der Lese, ist es wieder trocken. Ein gelbliches Licht durchdringt die Wolkendecke. Sie lesen noch immer Trockenbeeren, im Garten Knipp, einer windigen Parzelle unterhalb der struppigen Bergkuppe. Der Most vom Vortag war noch nicht süß genug für eine Trockenbeerenauslese. Drei, vier Sonnentage bräuchten die Trauben noch, um den nötigen Zuckergehalt zu entwickeln. Es ist Dienstag. Ab Sonntag soll das Wetter besser werden, bis dahin müssen sie den Regen überstehen.
Ernten oder warten?
Nach dem Mittagessen steht Müller im Hof und blickt in den Himmel.
„Wetterbericht?“, fragt Andreas, der polnische Vorarbeiter, aus dem Fenster des Lieferwagens heraus.
„Regen“, sagt Müller. „Eine Stunde. Dann Schauer.“
„Scha-u-er“ wiederholt Andreas für die Polen, die hinter ihm im Lieferwagen sitzen. Sie kennen die wichtigsten Vokabeln der Weinlese: Schauer. Eimer. Schere. Chef.
Gegen halb zwei fängt es an zu regnen. Eine Stunde braucht Andreas, um sich den matschigen Weg hochzuarbeiten, 50 Meter steil bergauf, Zeit, um über den Zustand der Nato zu reden, über die Frage, warum Katar keine Flüchtlinge aufnimmt, und schließlich seine Zeit als Baggerfahrer im Krakau der Achtzigerjahre. Oben knipst er ein paar letzte Trauben in den Eimer und sagt: „Positiv denken. Und Wein trinken.“ Von irgendwo ruft Müller: „Fei-her-abend!“.
Kurz darauf sitzt er an dem Tisch in der großen Küche, gegenüber dem Holzofen. „Wir sitzen zwischen einem Hoch über Osteuropa und einem Tief über Frankreich, das wird nicht ganz ohne Regen abgehen.“
Ernten oder warten?
daughter Isabelle in the evening, that it starts to drizzle outside, still too light to worry Müller. The 15-year-old son is not there - he‘s in hunting class. There is bread with salmon and salami, and wine from Van Volxem, Niewodniczanski‘s winery. Isabelle, three years younger than her brother, explains that she is not interested in wine, she prefers to write fantasy stories.
When his daughter is in bed, Müller said he believes that she has not developed any interest in winemaking, in a kind of anticipatory sense of
duty. After all, it was Egon junior who had been regarded by all as the successor from the outset. „Even from the name alone,“ says Müller. He himself, the eldest of three brothers, could never have imagined anything other future than to take over the winery. „It‘s the situation here that works. It‘s in the very walls here.“
„I‘ll keep out of this,“ says his wife.
Instead, she helps Egon junior study for his hunting test, thinking about how he can market his honey together with him. At the moment it is sold under the label „Egon Müller“ in the local
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