Page 7 - Leinen los 05/2025
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Maritime Sicherheitspolitik
selbst ab, die von den sich gegenseitig ver- stärkenden Polykrisen unserer Zeit (Pan- demie, Wirtschaftsflaute, Klimakrise, usw.) abgenutzt und zerrissen sind.
Es stimmt optimistisch, dass die NATO, die EU und die Länder an der Nord- flanke viel getan haben, um die Ukra- ine zu unterstützen, Russland einzu- dämmen und abzuschrecken und sich mit den neuen Allianzen von Spielver- derbern der internationalen Ordnung – Russland, China, Nordkorea und Iran – auseinanderzusetzen. Dieses „Gotham City“-Quartett stellt die etablierte, west- lich dominierte und vom Westen auch geschützte Werte- und Rechtsordnung grundlegend in Frage. Besorgniserre- gend ist, dass Ideen, die in Moskau und Peking entstehen, von einigen Staats- chefs des globalen Südens als sinnvolle Alternative zur liberalen maritimen Welt- ordnung aufgefasst werden.
Während die Regierungen der Ostsee- anrainerstaaten begonnen haben, das Ruder in Bezug auf Verteidigungsaus-
Das Landungsschiff AlexAndr OtrAkOvskiy der russischen Nordflotte in der Ostsee. Das Schiff kehrt aus einem Mittelmeereinsatz zurück
gaben, Beschaffung, Kommandostruk- turen und Zuständigkeiten herumzurei- ßen, bleiben eine Reihe von fundamen- talen Herausforderungen bestehen. Der zeitliche Zusammenfall der Koalitions- bildung in der Bundesrepublik mit der Umorientierung in Stil und Substanz sei- tens der Amerikaner – die echte Zeiten- wende, gewissermaßen – schafft politi- schen Handlungsraum, der genutzt wer- den muss.
Statt eines Blicks in die Kristallkugel ver- sucht sich dieser Essay an der Skizze von fünf strategischen, miteinander in Verbin- dung stehenden Puzzle-Spielen. Deren Teile zu verstehen und zu lösen wird eine der Kernaufgaben der kommenden Bun- desregierung, von Ostseepartnern und auch der NATO-Führung um General- sekretär Mark Rutte sein. Sie sollten aber auch die neue Bundesregierung beschäf- tigen, um im Ostseeraum eine noch stär- kere Führungsrolle zu übernehmen, Glaub- würdigkeit zu steigern und Vertrauen auf- zubauen.
Der Notschlepper Bremen Fighter hält die havarierte eventin auf Position
Wird der Westen in der Lage sein, eine Theorie des Sieges zu formulieren – und diese auch durchzusetzen?
Dies betrifft die Ukraine, den Ort, an dem ein Sieg am wichtigsten wäre, aber auch die NATO und den Ostseeraum als Gan- zes. Die politischen Entscheidungsträger sollten sich eingehend mit Fähigkeitslü- cken und bewährten Praktiken, mit Erfol- gen und relativen Misserfolgen befassen. Sie müssen ihre Theorie auch gegen mög- liche strategische Schocks wappnen, z.B. gegen radikale politische Veränderungen, wie sie vom White House in Washington, DC, ausgehen könnten. Gleichsam wappne man sich gegen plötzliche katastrophale Veränderungen in der russischen Führung oder in der militärischen Vorgehensweise der Russischen Föderation. Ohne Kriegsfä- higkeit und Wehrhaftigkeit bleibt die Praxis nämlich eher reaktiv als proaktiv und läuft Gefahr, zu sehr den wechselnden innenpo- litischen Gezeiten zu unterliegen. Zugege- ben: Eine solche Theorie und ihre Umset- zung kosten Geld und politisches Kapital. Beides sind endliche Ressourcen und könn- ten an anderer Stelle fehlen.
Werden wir in der Lage sein, die einzig- artige Verflechtung der Meere zu ver- stehen und die Meere konzeptionell miteinander zu verbinden?
Es ist schließlich ein hartnäckiges Unter- scheidungsmerkmal, dass viele Gene- räle regional und in räumlich begrenzten
Erstens:
Zweitens:
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Foto: Michael Nitz, Naval Press Service
Foto: Havariekommando