Page 27 - Strategie Sonderheft 2021
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Machiavellis Leben
Niccolò Machiavelli lebt in und um Florenz, in der Zeit von 1469 bis 1527. Er wird 58 Jahre alt. Im Jahre 1498 wird er vom Rat der Achtzig zum Chef der zweiten Kanzlei vorge- schlagen. Gewählt wird er vom großen Rat des Volkes: Eine Versammlung von 3000 Bürgern der Stadt Florenz. Machiavelli setzt sich gegen drei Gegenkanditaten durch. Er ist damit Sekretär der florentinischen Regierung. In dieser Funktion war er für das Militärische und für die Au- ßenpolitik zuständig. Das bedeutete in der damaligen Zeit: Reisen zu Pferd und Kontakte zu wichtigen Persönlichkei- ten, Regenten, Päpsten bis hin zu Kaisern und Königen.
Als Beamter der Stadt sind seine Auftraggeber die Reprä- sentanten des Bürgertums und die Edelleute (primi) der Stadtregierung (Signoria) und auch die Mitglieder des Rates der Zehn (Dieci dei Balia). Die politischen Organe
der Stadt werden alle zwei Monate durch neue Mitglieder ersetzt. Dieses Verfahren hat für die Geschäftsleute den Vorteil, dass sie einerseits an der Regierung beteiligt sind, andererseits aber nicht zu lange von ihren Geschäften ferngehalten werden. Eine Dominanz einzelner Clans ist infolge des Rotationsprinzips nicht möglich. Eine Allein- herrschaft einzelner Familien, wie die der Medici, soll sich schließlich nicht wiederholen. Nachteilig an diesem System ist allerdings, dass die Mitglieder der Regierung sehr unerfahren sind und zudem schon nach kurzer Zeit wieder durch neue Kandidaten ersetzt werden. Entscheidungen werden daher praktisch keine getroffen. Eine „unentschlos- sene Schaukelpolitik“ ist die Folge.
Als Piero de Medici (ältester Sohn Lorenzos) nach nur zweijähriger Regentschaft 1494 aus der Stadt gejagt wird, endet eine sechzigjährige Periode stetiger Entwicklung und guten Wachstums. Handel und Kunst stehen in hoher Blüte. Die Hauptregenten in dieser langen Zeit sind Cosimo der Alte, Piero sein Sohn und Lorenzo de Medici (il Magnifico) gewesen. Formal ist Florenz eine Republik, ganz praktisch ist
sie aber vom Palazzo Medici regiert worden. Es gibt nicht wenige Florentiner, die eine Ablösung der Medici-Tyrannen fordern. Unter ihnen ist auch der Prior des Domenikaner- klosters San Marco Girolamo Savonarola. Seit 1494 setzt er sich für eine grundlegende Reform des republikanischen Stadtwesens ein. Patrizier und Handwerker sollen die Stadt in einem großen Rat, dem „governo largo“ verwalten. Aller- dings: Das löst heftige Machtkämpfe zwischen den adligen Familien und den Zünften aus.
Sein angeblich göttlicher Auftrag verleitet Savonarola dazu, sich als direkt von Gott beauftragter Prophet zu sehen. Das erzürnt Papst Alexander VI, der ihn im Sommer 1497 ex- kommuniziert. Weniger als ein Jahr später, am 23. Mai 1498 wird er auf dem zentralen Platz der Stadt gehenkt. Das sind die Randbedingungen unter denen Niccolò Machiavelli seine Arbeit in der Stadtregierung der Florentiner aufnimmt.
Die Medici sind weg, ebenso Savonarola. Im großen Rat des Volkes (governo largo) haben immer noch die großen Familien das Sagen. Der Mittelstand regiert mit, ist aber nicht so stark, wie es scheint. Die Patrizier untereinander beharken sich nach Kräften. Das schwächt die Republik und macht Machiavelli in seinem neuen Amt immer dann zu schaffen, wenn es um Entscheidungen geht. In dieser Laschheit liegt das Problem der Republik Florenz. Anstatt Stärke zu demonstrieren verlassen sich die Stadtväter auf unzuverlässige Verbündete. Die Florentiner wünschen sich die Führungskraft eines Cosimo oder eines Lorenzo di Me- dici zurück. Aufgrund ihrer Zerstrittenheit sind sie nicht in der Lage, die innere Sicherheit zu garantieren und die Feinde - beispielsweise Cesare Borgia - unter Kontrolle zu halten.
Niccoló Machiavelli erkennt dieses Grundproblem und schreibt seine Depeschen entsprechend. Die Botschaften werden zwar gelesen, die Empfehlungen jedoch meist nicht umgesetzt. Machiavelli ist ganz Republikaner und aufgrund seiner Kindheitserfahrungen geprägt: Er sehnt sich nach starken Führungspersönlichkeiten.