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Zurück zur Großstadt, hier hat der Winter noch Nährwert – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bei Schneelage funktionieren zwar alle öffentlichen Verkehrsmittel nicht, aber die Stadtwerke
nehmen jede Menge Schneearbeiter auf, die – und das üben wir seit Jahren – bei richtiger
Planung, das Funktionieren der Verkehrsmittel hätten theoretisch bewerkstelligt haben
können. So kriegen halt ein paar arme Teufel ein paar Euro fürs Schneeschaufeln (untertags,
denn in der Nacht ist es zu kalt und der Schnee zu hart) und wir erwärmen uns gleichzeitig
beim Dauerlauf ins Büro in der klaren Wintermorgenluft, weil ja ohnehin (außer rußenden
Pendlerautos) nichts fährt. Die Streudienste sind aus Mangel an Hausmeistern meist
privatisiert, was deren Einsatz ebenfalls auf die Kernarbeitszeiten (9 – 17 Uhr) umlenkt.
Freilich sind die Gehsteige am Vormittag leerer als in der Früh, wo alle zur Arbeit hetzen, da
kann der Streutraktor viel besser streuen, und weil das Glatteis dann schon angetaut ist,
bleiben die Krümel besser an ihm haften. Das heißt, wer sich morgens bei Glatteis nicht den
Fuß gebrochen hat, der kann auf einen „standfesten“ Heimweg rechnen. Ich fürchte hier ist
ein urbanes Zittern angesagt.
Dass in diesen impotenten Winter auch noch das synthetische Weihnachtsfest fällt, macht
diese Jahreszeit noch schlimmer. Denn die Plastikfiguren für Kinder haben nun auch
Wintersportgeräte aus Plastik beigepackt, damit Barbie im Wohnzimmer auf einem
Watteteppich ein wenig Schifahren kann. Das ist sicherlich erstrebenswert, denn das Plastik
ist kälteempfindlich und würde bei tiefen Temperaturen im Freien brechen, ja sogar splittern,
und das bedeutete für die lieben Kleinen eine Verletzungsgefahr – dann schon lieber im
warmen Wohnzimmer unterm Plastik-Christbaum mit Schneeflocken aus der Spraydose.
So geschieht es dann wortwörtlich, dass man sich die Natur mit ins Wohnzimmer nimmt.
Anlässlich der Batteriebetrieben „Santa-Claus-Barbie“, die „Jingle Bells“ quäkt, ist – so
fürchte ich – ein lang andauernder Schüttelfrost aus Polyvinylchlorid angesagt!
Christian Faltl (2002)