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Unter Strom
Der Architekt Hans Heinrich Müller baute im Stil der neuen Sachlichkeit Um- und Abspannwerke, die imposant wie auch perfekt durchdacht waren
Hans Heinrich Müller realisierte Anfang des 20. Jahrhunderts die Funktionsgebäude für die Bewag
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von Prof. Dr. Klaus Dettmer/BBWA
N ur in den seltensten Fällen werden Bau- werke mit den Namen ihrer Schöpfer verbunden – erst recht, wenn es um Gebäude geht, deren Funktion nieman-
dem klar ist. Umspannwerke zum Beispiel. Und doch ist Berlin voll davon. Wenn der Strom aus der Steckdose kommt, dann fragt schließlich auch niemand, woher und wie er dort hinkommt.
1884 begann die Versorgung mit Gleich- strom für Beleuchtung und Elektromotoren. Mit der Möglichkeit, Dreh- oder auch Wechselstrom
hochzuspannen und über längere Strecken zu transportieren, mussten Kraftwerke nicht mehr dicht am Abnehmer stehen, sondern konnten am Stadtrand gebaut werden. Die Berliner Elektrizitätswerke ließen Oskar Springmann die technische Seite entwickeln, in das Stadtbild banden namhafte Architek- ten wie Franz Schwechten die Umspann- werke ein.
1923 übernahm die Stadt Berlin die Stromproduktion von den privaten Kraft- werken mittels der neu gegründeten Bewag. Die Funktionsgebäude der Bewag erhielten
nun den architektonischen Stempel durch ihren Leiter der Bauverwaltung Hans Heinrich Müller (1879–1951). Müller hatte 1903 nach Studienab- schluss an der TH Charlottenburg u. a. als Bau- referendar in der staatlichen Bauverwaltung erste Erfahrungen gesammelt, war Gemeindebau- meister im noch selbstständigen Steglitz. Hier plante er etwa 1909 das E-Werk am Teltowkanal.
Bei der Bewag gehörten Planung und Bau von Um- und Abspannwerken und Stromverteilungs- bauten zu seiner ausschließlichen Beschäftigung, die er zusammen mit Fritz Thümen realisierte. Kathedralen des Stroms nannte man seine Bau- werke. Sie erinnern an Burgen und Festungs- bauten – nicht umsonst soll Müller bei seinen Planungen die Marienburg an der Weichsel im
Einer der markanten Bauten des Architekten Hans Heinrich Müller: das Verwaltungsgebäude des Großkraftwerks Klingenberg
Auge gehabt haben. Neben die kirchenschiff- artigen Trafohallen ordnen sich wie Seitenschiffe Phasenschieber- und Schalterhallen. Über mar- kante Treppentürme waren die einzelnen Etagen zugänglich. Alles wurde überwacht und gesteuert über die Schaltwarte. Wegen der hohen Wärme- abgabe bei hohen Spannungen und großen Leis- tungen waren Trafos und Schalter von Ölkes- seln ummantelt, die bei Rauchentstehung schnell durch Öffnungen in der Fassade entlüftet werden konnten. Weitere Beispiele dieser Bauweise ste- hen in der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg und der Kopenhagener Straße in Wilhelms- ruh sowie am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg.
Später gebaute Werke mussten billiger sein und wurden kompakter hergestellt, so in der Leib- nizstraße und in der Sellerstraße in Wedding. Diese übernahmen weitere Stromverteilung an Haushalte und Werkstätten durch Spannungs- drosselung, Netzstationen und Trafo-Litfaßsäulen.
Sämtliche Umspannwerke und Stützpunkte ließ Müller im Stil der neuen Sachlichkeit und in Klinker ausführen. Dabei kombinierte er gekonnt – und für heutige Architekten immer noch lehr- reich – Massenaufgliederung und strukturierende Elemente. ■
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