Page 34 - BilD am Sonntag vom (+14. Juli 2019)

Im „sündigen Dorf“
Ruhpolding lernte
man, wie Urlaub geht
Die Urlauber kamen in Sonder-
zügen aus ganz Deutschland. Sie
wurden mit Blasmusik empfan-
gen und winkend verabschiedet.
In den 50er-Jahren war eine
Ferienreise noch etwas ganz
Besonderes, vom Reiseweltmeis-
ter waren wir nach dem Krieg
noch weit entfernt. Hätten Sie
gedacht, dass ein bayerisches Dorf
damals DER Hit war?
Von Tourismus spricht man in
Deutschland erst seit den 60er-
Jahren. Vorher sagte man Fremden-
verkehr. Und der war in den
spießigen 50ern im bayerischen
Ruhpolding besonders rege, die
idyllische Ortschaft bald als „das
sündige Dorf“ bekannt – und be-
rüchtigt. Hier war man nicht prü-
de, hier hat man sich amüsiert.
Und hier hat nach dem Krieg
alles wieder angefangen. Man kann
Ruhpolding durchaus als Ursprung
deutscher Reiselust bezeichnen.
Und die ist mittlerweile gigantisch.
68 Milliarden Euro haben deut-
sche Urlauber 2018 für Reisen aus-
gegeben, fünf Prozent mehr als im
Vorjahr. 73 Prozent der Urlaube
verbrachten sie im Ausland. Spa-
nien ist vor Italien und der Türkei
das beliebteste Ziel. Innerhalb
Deutschlands liegt Mecklenburg-
Vorpommern vor Bayern und
Schleswig-Holstein.
Doch im Nachkriegs-Jahrzehnt
müssen die Deutschen Urlaub erst
wieder lernen. Nach Jahren der
Entbehrung sind sie Erholung nicht
mehr gewohnt. Dass es sie in die
Ferne zieht, davon ist ein Mann
fest überzeugt. Sein Name: Dr. Carl
Degener. Schon vor dem Krieg hatte
der Reise-Unternehmer im baye-
rischen Ruhpolding ein Kurhaus
gebaut und nach dem Krieg wie-
der aufgemöbelt.
„Die Deutschen werden reisen
wie noch nie, wenn sie erst wie-
der satt zu essen haben“, wettete
Degener – und so ist es auch ge-
kommen. In den 50ern träumen
viele zwar schon von Italien, von
Chianti, Spaghetti und Amore. Doch
85 Prozent der Deutschen verrei-
sen im Inland – und Ruhpolding
ist für viele junge Leute damals das
attraktivste Ziel. Schon 1952 braucht
Degener 500 Sonderzüge, um
174.000 Touristen in den sagenum-
wobenen Bergort zu bringen, der
Amüsement und Abenteuer ver-
spricht. Jedenfalls allein zum Wan-
dern kommen die Wenigsten.
132 Mark kosten acht Tage Voll-
pension mit Anreise im Sonder-
Ruhpolding 1958. zug, 3. Klasse, aus Hamburg, inklu-
s s
Der Zeller Sepp (damals 54) verabschiedet sive Unterhaltungsabende und ein-ive Unterhaltungsabende und einive Unterhaltungsabende und ein Einmal tanzten im Fasching Go­ Er macht Ruhpolding
diese junge Touristin mit einem m go­Girls oben ohne an. Die Verant­
mal Schuheputzen. Übernachtet al Schuheputzen. Übernachtet
schwungvollen Schmatz. Der bayerische wird zumeist in Privatbetten der
Ort war damals Ferienziel Nr. 1 und Zeller Vermieter. Manche haben dafür so-
eine Art Ur-Animateur, der jeden Sonntag die gar ihre eigenen Schlafzimmer ge-
neuen Touristen am Bahnsteig empfing. Durch
lockere Sitten hatte Ruhpolding bald räumt. Zur Begrüßung der Urlau-
seinen Ruf als „das sündige Dorf“ weg ber spielt schon auf dem Bahnsteig
eine Trachtenkapelle zünftig auf.
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Touristen im Kurhaus. BILD am SONNTAG, 35
Jeden Montag hielt
14. Juli 2019
der Zeller Sepp eine
launige Begrüßungs-
rede für neue
Der Schuhplattler-
Paartanz ist
Vor allem die
eine der Unter-
Damen mögen Attraktionen
haltungs-
den urigen
Bayern
am Abend
Erst Gipfel
erklimmen, dann
sonnenbaden:
Touristen auf dem
1670 Meter hohen
Rauschberg
Christa Wichert
(links, mit
einer Bekannten),
kaufmännische
Auszubildende in einem
Nürnberger
Versandhaus, hat das
ganze Jahr für ihren
ersten Urlaub gespart
Auch etliche Burschen aus den see sind damals begehrte Ziele. Mit­
umliegenden Ortschaften sind da, te der 50er besitzt erst ein Fünftel
um junge Touristinnen in Augen­ der Bundesbürger einen Reisepass,
schein zu nehmen. Mit bajuwa­ der damals normalerweise einen
rischem Charme bieten die soge­ Grenzübertritt erst erlaubt hat. De­
nannten „Saisongockel“ den Damen geners kombiniertes In­ und Aus­
an, den Koffer zu tragen. Darin hat landsangebot – acht Tage Ruhpol­
die gewitzte Urlauberin mit Weit­ ding, danach acht Tage Busreise
blick ein „Dirndl Ruhpolding“ an die Adria – für 347 Mark ab Ham­
eingepackt, das sie zuvor beim burg ist nur für eine Minderheit
Neckermann­Versand für 13,50 ­Versand für 13,50 ­ möglich. Und finanzierbar. Der
D­Mark erworben hatte. durchschnittliche Monatslohn ei­
Der ortsansässige Verkehrsverein nes Arbeiters beträgt Mitte der 50er
moniert schon 1951 „das Benehmen rund 180 Mark.
der einheimischen Burschen gegen­ Reise­Pionier Degener stirbt 1960
über den weibl. Sommergästen“. Zwei mit 60 Jahren, er wird in Ruhpol­ FOTOS: MA X SCHELER ESTATE /AGENTUR FOCUS, SZ PHOTO, FOTOFINDER.COM, GET T Y IMAGES, DER SPIEGEL
Drittel der deutschen Bevölkerung ding bestattet. Sein Reise­Unter­
nach dem Krieg sind weiblich. Und nehmen Touropa geht 1968 im
bei einigen der allein reisenden Da­ Großkonzern TUI auf. Jetzt kön­
men ist die liebevolle Aufmerksam­ nen sich auch viel mehr ihr Sehn­
keit der kernigen Trachtenburschen suchtsland leisten, das in vielen
gut angekommen. Schlagern besungen wurde, wie
Doch mit der Moral wird es im 1956 von Caterina Valente: „Komm
Allgemeinen damals sehr ernst ein bisschen mit nach Italien . . .“
genommen. An unverheiratete Und Ruhpolding? Das ist heute
Paare darf nicht vermietet wer- immer noch ein Paradies. Kein
den. Wer das tat, förderte damals sündiges zwar, aber eins für
die Unzucht und machte sich der Senioren.
Kuppelei schuldig. Und darauf ***
stand Gefängnis. Der Kuppelei- Ab sofort berichtet BamS
Paragraf fiel erst 1973. in loser Folge über die Urlaubs-
Im fröhlichen Kurhaus Ruhpol­ Trends im Lauf der Jahrzehnte.
ding will’s jetzt aber keiner mit der
Moral übertreiben. Man will Spaß
Heute ein Wintersportort von Weltrufeute ein Wintersportort von Weltrufeute ein Wintersportort von Weltruf
in den spärlichen zwei Wochen Jah­ H H Biathlon-
resurlaub: Arbeitnehmern stehen Weltmeisterin
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schließlich nur zwölf Urlaubstage Im Juli 1956 widmet m Juli 1956 widmet m Juli 1956 widmet fahrten nach Bayern. Die Chiemgau-Arena Laura
„Der Spiegel“ dem Der Spiegel“ dem
bei einer Sechs­Tage­Tage­ ­ ­ ­Woche zu. Woche zu. „ „Der Spiegel“ dem 1951 wird er Chef des ist eine der weltbes- Dahlmeier (25)
Reiseveranstalter Dr. eiseveranstalter Dr.
Reiseveranstalter Dr.
Und in Ruhpolding ist jeden Abend R Reise-Unternehmens ten Wettkampfstätten 2017 beim
Carl Degener († 60)
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Remmidemmi. Stars wie Vico Tor­ Carl Degener († 60) arl Degener († 60) Touropa. Seine Pau- für Biathlon und nordi- Start in
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die Titel-Geschichte. ie Titel-Geschichte. ie Titel-Geschichte.
riani oder Max Greger treten auf. die Titel-Geschichte. schalreisen lösen im sche Disziplinen. Zum Ruhpolding
Er macht Ruhpolding r macht Ruhpolding
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bayerischen Ruhpol- jährlichen Biathlon-
zum Top-Reiseziel in
z zum Top-Reiseziel in um Top-Reiseziel in ding einen regelrech- Weltcup kommen
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den 50ern. Der ge-en 50ern. Der ge-
wortlichen mussten beim Pfarrer den 50ern. Der ge- ten Boom aus. Tausende Besucher.
zum Rapport. Ruhpolding blüht bürtige Bremer und Degener stirbt 1960. Schon viermal trug
bürtige Bremer und ürtige Bremer und ürtige Bremer und
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Jahr für Jahr mehr auf. Bald hat man Der „Spiegel“-Titel studierte Jurist orga- Mittlerweile ist Ruh- Ruhpolding die
studierte Jurist orga-
mit Reise-König Dr. nisiert schon in den polding ein Winter- Biathlon-Weltmeister-
dort Seilbahn (1953), Tennisplätze Carl Degener 1956 30er-Jahren Urlaubs- sportort von Weltruf. schaften aus.
(1958), ein Wellenbad (1970). Aber
auch Schwarzwald, Nord­ und Ost­
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