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       THEMA

         THEMEN-TIPP                              FLIEGEN

         von Felix von Ploetz und Fred-Michael Sauer  von Nina vin Imhoff, Foto: John Tyson/unsplash.com

         FILM                                     „Über den Wolken muss die Freiheit   flug in eine der europäischen Metropo-
                      „Nomaden der Lüfte“         wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle   len oder gar nach New York zu machen
                      Nomaden der Lüfte ist ein  Doku-
                      mentarfilm aus dem Jahr 2003   Sorgen, sagt man, blieben darunter   oder mal eben für zwei Tage nach Mal-
                      über die Wanderbewegungen   verborgen und dann würde, was uns   lorca zu jetten.
                      der Zugvögel, der 12 Monate lang   groß und wichtig erscheint, plötzlich
                      44 verschiedene Vogelarten auf   nichtig und klein.“ Wer kennt sie nicht,   Der Preis für diese Art von Mobilität ist
                      ihren Reisen zwischen Brut- und                                hoch und lässt sich sehr gut am Klima-
                      Überwinterungsplätzen rund um   die Strophen aus Reinhard Meys be-
                      den Globus begleitet.       rühmtem Lied  „Über den Wolken“?   wandel  festmachen.  Beim  Verbrennen
         Dass eine Tierdokumentation so viele Menschen ins   Tatsächlich ist es aber mitnichten so,   von Kerosin entstehen klimaschädliche
         Kino locken konnte, war außergewöhnlich. Und doch                           Abgase. Sie bestehen überwiegend aus
         kann man feststellen, dass der Film einer Kontinuität   dass Fliegen von den meisten Men-
         folgt, die sechs Jahre zuvor durch „Mikrokosmos –  schen immer als grenzenlose Freiheit   Wasserdampf, Kohlendioxid und Sticko-
         das Volk der Gräser“ seinen Anfang nahm.   und ohne Sorgen wahrgenommen wird.  xiden.  Die  Auswirkungen  dieser  Stoffe
         Hatte man in der Vergangenheit die Reportagen                               sind in luftiger Höhe rund dreimal grö-
         mit Kommentaren und Erklärungen übersättigt
         oder den gezeigten Lebewesen ein Art Handlung   Laut einer kürzlich erhobenen Umfrage   ßer als am Boden und vergrößern so den
         „aufgezwungen„, die durch geschickte Montage   hat jeder sechste Deutsche Angst vor   Treibhauseffekt entsprechend.
         suggerierte, wir könnten den Protagonisten durch   dem Fliegen. Zudem klagen einige Pas-
         deren „Abenteuer folgen, stand nun eine Natürlich-
         keit im Vordergrund, die die  „Nomaden  der Lüfte“
         auszeichnet, ein Film, der ohne jeglichen Kommentar
         auskommt.
         Die Langzeitbeobachtung über drei Jahre auf allen
         Kontinenten verlässt sich zu Recht auf seine starken
         Bilder und die tranceartige Musik vom Komponisten
         Bruno Coulais mit der Unterstützung  von bulga-
         rischen und korsischen Sängergruppen, sowie des
         eindrücklichen Titelsongs des Australiers Nick Cave
         und des Amerikaners Robert Wyatt.
         Die Vogelarten wurden unter anderem von Ultra-
         leichtflugzeugen, Gleitschirmen und Heissluftballo-
         nen begleitet. Trotz seiner sensationellen Aufnah-
         men verzichtet der Film auf jede Art von Effektha-
         scherei, vielmehr steht er auch durch seine Machart
         für den Einklang zwischen Mensch und Natur.
         Ein Film zum Zurücklehnen und Staunen! rerufgabe
         „Nomaden der Lüfte“, F, 2001, Regie: Jacques Cluzaud,
         Michel Debats, DVD, Kinowelt Home Entertainment,
         ab 6,49 €

         BUCH                                     sagiere über gesundheitliche Probleme   Der Gesamtanteil des Flugverkehrs an
                    „Nicht nur zur Weihnachtszeit“  während oder nach dem Fliegen.   der globalen Erwärmung beträgt laut
                    Tante Milla will sich nicht von ihrem
                    Christbaum trennen. Als das Requi-                               des Verkehrsclub Deutschlands (VCD)
                    sit abgeschmückt wird und aus dem   Dennoch steigen seit Jahren die welt-  etwa fünf Prozent. Wichtig sind jedoch
                    Wohnzimmer entfernt werden soll,   weiten Passagierzahlen im Flugverkehr.   nicht nur die absoluten Zahlen, son-
                    beginnt sie unausgesetzt zu schrei-  So verzeichnete beispielsweise die Luft-
                    en. Nachdem Mediziner ohne Erfolg                                dern vor allem die Wachstumsraten. „In
                    zu Rate gezogen worden sind, findet   hansa-Gruppe im ersten Halbjahr 2017   Deutschland haben sich die CO2-Emis-
         endlich Onkel Franz, Gatte der Tante, die Lösung.   sechzig Millionen Passagiere, so viele   sionen des Flugverkehrs seit 1990
         Onkel Franz verordnet Tante Milla mit nachhalti-  wie noch nie in ihrer Geschichte. Im Ver-
         gem Erfolg eine „Tannenbaumtherapie“. Es wird                               etwa verdoppelt. Wenn das weltweite
         nun praktisch über zwei Jahre hinweg jeden Abend   gleich mit diesem Jahr prognostizieren   Wachstum sich so fortsetzt, hat das fa-
         – also Winter wie Sommer – Heiligabend gefeiert   Flugexperten eine weltweite Verdopp-  tale Folgen für das Klima“, sagt Michael
         mit allem Drum und Dran, also mit dem Baum und   lung der Passagierzahlen auf bis zu 7,8   Müller-Görnert, Referent für Verkehrs-
         dem täglich „Frieden, Frieden, Frieden“ flüsternden   Milliarden im Jahr 2036. Wie passen die-
         Weihnachtsengel. Doch schon bald werden die Er-                             politik beim VCD.
         wachsenen des Spekulatiusknabberns überdrüssig   se beiden Tatsachen zusammen?
         und erste familiäre Verfallserscheinungen werden                            Setzt sich das weltweite Wachstum des
         sichtbar. Einzig die alte schrullige Tante Milla geht   Die Antwort liegt zum einen in der   Flugverkehrs fort, wird das mögliche
         unbeschädigt – abgesehen von ihrem Weihnachts-  schnelllebigen Zeit und zum anderen in   Klimaschutzerfolge in anderen Berei-
         fimmel – aus der Dauerweihnacht hervor.
          „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ gilt als erste Satire   der Selbstverständlichkeit, mit der im-  chen zunichte machen. Neben weitrei-
         Heinrich Bölls. Nach Sendung der Hörfunkfas-  mer mehr Menschen mit dem Flugzeug   chenden Forderungen des VCD, um die
         sung im Jahr 1952 warf Pfarrer Hans-Werner von   in den Urlaub fliegen. Hinzu kommt ein   CO2-Emissionen zu verringern, rät der
         Meyenn dem Autor Böll „Verunglimpfung des
         deutschen Gemüts“ vor.                   Anstieg der Kurzzeitreisen, bedingt   Klub gerade vor dem kommenden Weih-
                                                  durch die Angebote der Billigairlines. Es   nachtsfest, die Art der Fortbewegung
         Böll, Heinrich (1992): „Nicht nur zur Weihnachtszeit –
         Erzählungen“, DTV, München, 8,90 €       ist heute gängig, einen Wochenendaus-  zu überdenken.
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