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Bevor der Benediktinerorden Zu den Bewohnern von Mont St-Michel dem Festland residierten. Die Pilgerströme
im 10. Jahrhundert mit zählen neben rund 50 Dorfbewohnern blieben aus – die wichtigste Einnahme-
dem Bau der Abtei begann, die fünf Brüder und sieben Schwestern quelle versiegte.
musste Erzengel Michael der „Fraternité Monastique de Jérusa-
erst Bischof Aubert von lem“, der „Monastischen Gemeinschaft Während der Französischen Revolution
Avranches überzeugen, von Jerusalem“. Einer von ihnen ist Pater wurde das Kloster in ein Gefängnis um funk-
dass der Felsen das Zeug Fabien-Marie, der sich aus seinem welt - tioniert. Erst im 19. Jahrhundert formierte
zu einem heiligen Berg hat. lichen Leben erst nach einem Master in sich eine Bewegung zur Rettung des Mont
Im Traum erscheint er dem Finanzen und Buchhaltung verabschiedet St-Michel, unterstützt von Prominenten wie
Bischof mehrmals und hat und ins Kloster eingetreten ist. dem Schriftsteller Victor Hugo. Sie forderten
befiehlt, ihm zu Ehren eine vehement, dass der Klosterberg als archi-
Kirche auf der Felseninsel Wenn der heute 39-Jährige aus dem tektonischer Schatz von natio naler Bedeu-
zu bauen. Doch erst, als Fenster des Klosters blickt, das auf dem tung anerkannt und auch so behandelt wird.
der Himmelsbote mit sei- hohen Granitfelsen thront, ist er jeden Tag Nach umfassender Restauration erklärte
nem Finger ein Loch in aufs Neue beeindruckt: „Alles ist beweg- der französische Staat Mont St-Michel 1874
Auberts Schädel gebrannt lich – das Meer kommt und geht, die Men- zum nationalen Denkmal, der höchsten
hatte, ordnet der Gottes- schen kommen und gehen“, philosophiert Stufe des Denkmalschutzes in Frankreich.
mann den Bau zumindest er. „Nur der Felsen ist seit Jahrhunderten
einer Kapelle an. Als Beweis fest, so wie der Glaube an Gott.“ 2001 hat Nur fünf Jahre später läutete der Bau eines
für diese Legende bewahrt seine Glaubensgemeinschaft die Nachfolge Dammes, der die Insel mit dem Festland
die Kirche St-Gervais, der Benediktinermönche angetreten, die verbindet, das Zeitalter des Tourismus ein.
ganz in der Nähe des Mont „zu alt und auch zu wenige waren, um Besucher konnten fortan mühe- und gefahr-
St-Michel, den Schädel von weiterzumachen.“ los die Bauwerke besichtigen. Zunächst per
Bischof Aubert auf – mit Pferdekutsche, später mit dem Automobil.
einem gut sichtbaren Loch Die Benediktiner prägten das spirituelle „Damals waren die Touristenzahlen von
in der Stirn. Leben am Mont St-Michel maßgeblich. Im heute undenkbar“, sagt Dietmar Feich-
10. Jahrhundert ersetzten sie die dortige tinger. „Noch in den 1950er und 60er Jah-
„Als nationales Denkmal kleine Kapelle durch ein Kloster und die ren reichten für die paar Autos und Busse
gehört die Abtei dem fran- Abteikirche. Später bauten sie – um An- die Parkplätze und die Zufahrt aus. Doch mit
zösischen Staat, nicht dem greifern zu trotzen – den Felsen zu einer dem Massentourismus war Mont St-Michel
Orden“, sagt Pater Fabien- Festung aus. Als Wallfahrtsort gehörte in seiner ursprünglichen Schönheit nicht
Marie. „Da wir nur Mieter Mont St-Michel über Jahrhunderte hinweg mehr erlebbar.“
sind, hatten wir keinen neben Rom und Santiago de Compostela
Einfluss auf die Renaturie- zum bevorzugten Ziel reuiger Pilger, die Den Zugang verschandelten Parkplätze,
rungs maßnahmen.“ für den Ablass ihrer Sünden reichlich zahl- auf dem Damm spielte sich täglich ein Ver-
ten. Der Niedergang des Klosters begann kehrschaos ab. Mont St-Michel zählt zu den
im 15. Jahrhundert, als dessen Herren die meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in
Schätze der Abtei plünderten und lieber auf ganz Frankreich. „Für mich als Architekt war
Pater Fabien-Marie (links im Bild) Der im spätgotischen Stil errichtete Chor der Abteikirche von Mont St-Michel gehört
ist Mönch auf dem Mont St-Michel. zu den schönsten Frankreichs.