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Der Krimkrieg und die Entwicklung der Seekriegstechnik
Jann M. Witt
Teil 2
D ie im Oktober 1854 aufgenommene Belagerung der russischen Fes- tungsstadt Sewastopol auf der Krim entwi- ckelte sich rasch zum ersten Stellungskrieg der modernen Militärgeschichte. Keine der beiden Seiten konnte einen entscheiden-
den militärischen Erfolg erringen.
Belagerung von Sewastopol
Den britischen und französischen Angrei- fern fehlte es an schwerer Artillerie zum Zerschmettern der Festungsanlagen vor einem Sturmangriff, während gleichzei- tig alle Versuche der Russen scheiterten, den Belagerungsring zu durchbrechen. Unstimmigkeiten über das richtige Vor- gehen zwischen dem britischen Oberbe- fehlshaber Lord Raglan und seinem fran- zösischen Kollegen, General Canrobert, erschwerten eine gemeinsame Operati- onsplanung. Der Winter traf insbesondere die alliierten Truppen fast völlig unvorbe- reitet. Kälte, unzureichender Nachschub, schlechte Unterkünfte, Entbehrungen und vor allem Krankheiten wie Cholera führten unter den Belagerern zu derarti- gen Verlusten an Menschenleben, dass es in Großbritannien zu einem Aufschrei des Entsetzens und in der Folge zu mehre- ren Regierungskrisen kam. Im Januar 1855 musste sogar der britische Premierminis- ter Lord Aberdeen zurücktreten. Das Ende des Winters brachte etwas Erleichterung und im Mai 1855 wurden die geschwäch- ten Belagerer durch ein aus rund 18 000 Mann starkes Kontingent sardinischer Sol- daten verstärkt. Im gleichen Monat gelang den Alliierten die Eroberung der Halbinsel Kertsch, womit sie auch die Kontrolle über das Asowsche Meer errangen. Diese Ope- ration unterbrach wichtige Nachschubli-
Der Krimkrieg von 1853 bis 1856 ist heute fast vergessen. Doch dieser zu Land und zur See
geführte, für alle Seiten verlustreiche Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, Frankreich und Großbritannien markiert einen wesentlichen Wendepunkt hin zur modernen Kriegführung – vor allem zur See, denn die Erfahrungen des Krimkriegs beschleunigten die Entwicklung des dampfgetrie- benen gepanzerten Kriegsschiffs.
Geschichte
Die Festungswerke von Sewastopol während der Belagerung
nien der russischen Armee auf der Krim und ermöglichte so letztendlich den Sieg der Alliierten.
Am 28. Juni 1855 starb auch der britische Oberbefehlshaber Lord Raglan. Erst nach einer fast elf Monate dauernden Belage- rung gelang es französischen Truppen am 8. September 1855, mit der Einnahme von Fort Malakow die militärische Ent- scheidung herbeizuführen. Mit dem Ver- lust dieser wichtigen russischen Verteidi- gungsposition war Sewastopol für die Rus- sen unhaltbar geworden, die daher am 11. September die Festungsanlagen sprengten, alle im Hafen liegenden Schiffe versenkten und sich aus der Stadt zurück- zogen. Die Alliierten besetzten Sewasto- pol, verzichteten aber auf eine Verfolgung der feindlichen Truppen. Damit hatten Bri- ten und Franzosen zwar endlich einen wich- tigen militärischen Erfolg gegen die Rus- sen errungen, doch das bedeutete gleich- wohl noch nicht das Ende des Krimkriegs.
Einsatz des Panzerschiffs
Die Kampfhandlungen verlagerten sich nun auf andere Schwerpunkte. So grif- fen die Alliierten im Oktober 1855 die zum Schutz der Mündungen der Flüsse Dnjepr und Bug sowie der Zufahrten zu den Häfen Odessa und Nikolajew auf der Halbinsel Kinburn errichteten russi- schen Festungsanlagen an. Am 15. Ok- tober landeten 4000 britische und fran- zösische Soldaten und blockierten das mit 62 Kanonen bestückte und 1400 Soldaten bemannte Fort auf der Land- seite, während ein aus 10 Linienschiffen, 20 Fregatten und Korvetten, 22 Kano- nenbooten sowie zahlreichen weiteren Fahrzeugen bestehendes britisch-fran- zösisches Geschwader unter dem Kom- mando von Vizeadmiral Edmund Lyons, der seine Flagge auf dem Linienschiff agaMeMnOn, einem mit 91 Geschützen bewaffneten Zweidecker mit zusätzli-
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Fotos: Wikipedia/Commons


































































































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