Page 16 - Leinen los! 11/2022
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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Zwei Ex-Mariner in der Grenz-Falle Nervosität beherrscht die Situation in den masurischen Wäldern
Peer Schmidt-Walther
Von Frühjahr bis Herbst zieht seit über zwanzig Jahren das kleine polnisch- deutsche Kreuzfahrtschiff classic lady seine Runden über die masurische Seen- platte. Die liegt im Norden der heutigen polnischen Woiwodschaft Ermland-Masu- ren und grenzt an den russischen Oblast Kaliningrad/Königsberg. Vom zeitweili- gen Liegeplatz in Wilkasy/Wilkassen süd- lich von Gyzicko/Lötzen am Löwentinsee braucht man gut zwei Stunden mit einem der bordeigenen Fahrräder für 42 km, um nach Rudziszki zu kommen, dem ehema- ligen Rittergut Raudischken im südlichen Ostpreußen.
Warum aber, so wird man fragen, sollte man sich in diesen äußersten Zipfel Polens begeben? Zwei classic lady-Passagiere haben sich dazu auf den Weg gemacht: der eine Ex-Deutsche Marine, der andere
Ex-Volksmarine, beide in Stralsund behei- matet. Beide mit dem Wunsch, Ostpreu- ßen per Schiff zu erkunden. Sonst immer voll belegt, waren im Juni 2022 noch Plätze frei. Für die beiden „Blauen Jungs“ eine Chance. Wie vom Veranstalter, der DNV-Touristik in Kornwestheim, spezia- lisiert auf Rad-Schiffs- und Bahnreisen, zu erfahren war, haben eine Reihe von Gästen „aus Angst vor einer russischen Invasion“ storniert. Man könne schließ- lich nicht in einer Region entspannen, an deren unmittelbarer Grenze Raketen stationiert seien, deren bloße Gegenwart ein Bedrohungspotenzial darstellen, das einen unbeschwerten Urlaub unmöglich mache. Am Rande bemerkt: nicht eine Militärbewegung wurde beobachtet – weder von Polen noch Amerikanern. Hier bestand die Chance, sich direkt ein Bild
zu machen von der tatsächlichen Lage im Grenzgebiet. Dies sei berufsbeding- ter journalistischer Neugier geschuldet, wird der anstehende Ausflug gerechtfer- tigt. Zumal es auch familiäre Wurzeln in der Region gibt.
Im Niemandsland beobachtet
Aufgrund der unsicheren Wetterlage wird entschlossen, per Pkw über die alte Kreisstadt Angerburg/Wegorzewo der Landstraße 63 zu folgen, wo auch Reste des legendären Masurischen Kanals nach Königsberg zu besichtigen sind. Nach 14 km taucht am Straßenrand ein Schild auf, das einen erst mal zum Hal- ten bringt: rund, rot umrandetes weißes Feld mit einem Fußgänger darin. Verun- sichert wird beigedreht und versucht, dieses nicht näher bezeichnete Signal zu interpretieren. Entschieden wird sich für die Version „Gilt nur für Fußgänger“. Also umdrehen und mit der Nase wie- der in Richtung des rund 500 m entfern- ten Waldes. Diese Manöver und das Auto mit dem fremden Kennzeichen HST wer- den von den Bewohnern eines Gehöfts am Straßenrand skeptisch bis misstrauisch beobachtet. Auf ein freundliches Winken reagieren sie nicht, zumal sie längst das fremde Nummernschild entdeckt haben. Eine Schranke schließlich, umgeben von diversen Schildern in polnischer Spra- che, bremst unwiderruflich unsere Fahrt durchs Niemandsland. Wir drehen wieder in Gegenrichtung und steigen aus. Aha,
Sonnenuntergang in Ostpreußen
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Der Masuren-Kreuzfahrer claSSic lady in voller Fahrt bei Nikolaiken
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Fotos: psw


































































































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