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Dänen Paroli bieten zu können; und es war die Forderung nach einem starken, auch zur See mächtigen deutschen Staat und der dazu notwendig herbeizuführenden nationalen Einheit. Doch die, so Wurm, fehle den Deutschen, und sie hätten es auch nicht, wie alle anderen Nationen, die in der Geschichte groß geworden seien, geschafft, „wie in einem Schiff zusam- menzustehen“ und „sich selbst ein Organ nationaler Vertretung zu schaffen. Ich rede vom deutschen Parlament.“ Ein Pauken- schlag, und beileibe kein unpolitischer. Jacob Grimm war spätestens seit die- sem fulminanten Auftakt der Tagung, mit dem man, so Grimm in seinen einfüh- renden Worten, hier „am Hauptsitz der alten Hansa nicht angemessener begin- nen könne“ und wo der Professor Wurm den legendären Handelsbund kurzerhand zur ersten Verkörperung der deutschen Nationalidee erklärt hatte, ganz maritim gestimmt: „Hansa ist das älteste deutsche wort für schaar und gesellschaft, es musz noch einmal eine stärkere deutsche hansa als die war sich auf dem meere schaaren“, so schrieb er es, wie stets in Kleinbuchsta- ben, ins Goldene Buch der Stadt.
Eine ständige Kriegsflotte allerdings betrieb die Hanse in ihrer gesamten, über 400 Jahre währenden Geschichte ebenso wenig wie ein ständiges Heer. Um militärisch aufzutreten bedurfte es stets einer durch den Hansetag festge- legten Koalitionstruppe aus Hansestäd- ten mit ihren Schiffen, die im Falle eines militärisches Konfliktes zu Kriegsschiffen – „Friedeschiffe“ genannt – umgerüstet wurden. Nach eher archaischen Anfän-
Im Ratskeller von Lübeck
gen und dem Kampf von Schiff zu Schiff mit Pfeil und Bogen, Schwertern, Keulen und Lanzen beherrschten die hansischen Flotten alle Seekriegsformen, von Seeblo- ckaden über artilleristische Distanzge- fechte bis hin zu Landungsoperationen, und dies den fürstlichen Flotten mindes- tens ebenbürtig.
So kam es auch nicht von ungefähr, dass schon der Dichter Georg Herwegh 1841 in seinem Gedicht „Die deutsche Flotte“ das „freie Meer“ als Ruhestätte deutscher Hanse-Helden rühmte („Ha!, schlummern nicht aus deiner Hansa Zei- ten/Auch deutsche Helden drin?“) und das zweite Flaggschiff der ersten „deut- schen Marine“ unter Contre-Admiral Carl Rudolph Brommy den Namen hansa trug. Und tatsächlich fuhren auch die Ger- manisten selbst zur See. Denn schließ- lich ging es, so berichtete der „Lübecker Bürgerfreund“, mit Kutschen und Pferde- omnibussen von Lübeck ins Seebad Tra- vemünde und sodann, kaum dass man
dort mit Blasmusik und wehenden Flag- gen empfangen worden war, an Bord der alexandRa, eines kleinen Ausflugsschiffes, das nun mit der ganzen Germanistenschar just in jenes Element stach, von dem bis- her nur geredet worden war.
„Gegen 1 Uhr ging die stattliche alex- andRa mit der kostbaren Bürde, wie sie noch keine zuvor getragen, in See; mit den Klängen der Hörner mischte sich der Donner der Kanonen, die vom Leuchtenfelde aus dem eilenden Damp- fer ihren schallenden Salut über die schäumenden Wellen nachsendeten,“ so die Zeitung, um hernach den durch die frische Seeluft angeregten Appetit der Passagiere beim Festbankett zu stil- len. Hier spricht sich Jacob Grimm dann für eine „mächtige deutsche Flotte" aus, „die es nicht länger duldet, daß von andern Völkern unser Recht auf den Meeren beeinträchtig werde“. Schließ- lich huldigt der Lübecker Oberappella- tionsrat Dr. Carl Wilhelm Pauli in seinem Trinkspruch den Germanisten und deren Chef, den er als „Leitfigur aller drei ger- manistischen Wissenschaften“ würdigt und der deren Einheit wie kein anderer verkörpere und damit die politische Ein- heit Deutschlands geradezu modellhaft vorwegnehme. Jacob Grimms ergrif- fene Erwiderung endet schließlich mit den Worten „Ich liebe mein Vaterland, mein Vaterland ist mir immer über alles gegangen“ und „da brach“, so meldete es wiederum die Zeitung, „die Stimme des alten Mannes unter aufquellenden Tränen, und er sank in die Arme Dahl- manns. Die Versammlung verharrte in ehrwürdigem Schweigen.“
So waren die Germanistentage in Frank- furt und Lübeck, so der Marburger Lite- ratur- und Medienprofessor Jörg Jochen Berns, gar zu einem „Ersatzparlament“ geworden, Antizipation also jener Volks-
Rathaus zu Lübeck 2010
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