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Von wegen Märchenonkel
Jacob Grimm, die Hanse und die deutsche Flotte
Frank Ganseuer
Es war einmal in den Jahren vor der Märzrevolution in Deutschland 1848, da wünschten sich die Deutschen sehnlichst eine Flotte – so sehr, dass das Satireblatt „Der Berliner Charivari“ sogar den preußischen König um Hilfe rief: „Gieb uns die Flotte nun, Herr König,/ Der Deutschen erster König, Du!/ Auf daß Dein Ruhm erschall volltönig,/ Sprich Dir der Hansa Erbe zu./ Deutsche Flotte, in allen Meeren jugendlich trunken,/ Peit- sche die Wogen zu Schaum, schleud’re zum Himmel Funken.“
Und tatsächlich, die Deutschen beka- men ihre Flotte. Nur nicht vom König, sondern vom Parlament – der von der
Revolution ins Amt gehobenen National- versammlung in der Frankfurter Paulskir- che. Denn die beschloss am 14. Juni 1848 angesichts der dänischen Seeblockade der deutschen Küsten im Zuge des Schleswig- Holstein-Konfliktes die Verfügbarmachung von 6 000 000 Talern für den „Anfang einer deutschen Marine“.
Vorläufer dieses ersten deutschen Par- lamentes waren die „Germanistenver- sammlungen“ in Frankfurt und Lübeck,
einer der ehrwürdigsten Städte des Vater- landes, zu Frankfurt am Main“, um dort „vom 24. September 1846 an einige Tage miteinander zu verkehren“.
Und so kamen in der alten Reichsstadt der Königs- und Kaiserkrönungen annä- hernd 200 Gelehrte zusammen. Sie ver- sammelten sich im Kaisersaal des Frank- furter Rathauses, dem Römer, unter den lebensgroßen Gemälden der alten deut- schen Kaiser des Heiligen Römischen Rei- ches Deutscher Nation. Ein mächtiges Aufgebot von Professoren, Lehrern, Pfar- rern und Kommunalbeamten, darunter
Die Frankfurter Paulskirche 2018
Geschichte
Nationalversammlung in der Paulskirche 1848
Wilhelm (l.) und Jacob Grimm (r.) 1847
schaftler, Herausgeber des 1812 in Band 1 erschienenen Mega-Sellers der „Kinder- und Hausmärchen“, wie die „Deutschen Sagen“ und die „Deutsche Grammatik“ Teil ihrer Forschungen zu „Volkspoesie“ und Sprachschatz und damit auch als
1846 bzw. 1847, die Tagungen jener „Män- ner“, so die Einladungsannonce im Januar 1846 in zahlreichen deutschen Zeitun- gen, „die sich der Pflege des deutschen Rechts, deutscher Geschichte und Spra- che ergeben“. Man wolle sich treffen „in
berühmte Dichter wie Ernst Moritz Arndt oder Ludwig Uhland und ebenso bedeu- tende Historiker wie Leopold von Ranke. Und die berühmtesten unter ihnen waren die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, studierte Juristen und Sprachwissen-
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