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Geschichte
Der Kaisersaal im Frankfurter Römer 1816
lichem Präsidenten der Nationalver- sammlung übertragen war. Grimm stellt insgesamt vier Anträge, die alle abge- lehnt werden, darunter den nicht weni- ger als revolutionären, dass „aller rechtli- che unterschied zwischen adeligen, bür- gerlichen und bauern aufhören müsse“. Am 14. Juni 1848, nur knapp vier Wochen nach ihrer Konstituierung, debattiert die Nationalversammlung in der Paulskir- che die Gründung einer Marine. Und als wäre er ein Dreivierteljahr zuvor auch in Lübeck im „Germanistenkeller“ und auf der „stattlichen alexandRa“ gewesen, stellt der Abgeordnete und schlesische Papierfabrikant Friedrich Wilhelm Schlöf- fel die Flotte dabei in glorreiche maritime Tradition, sei es doch „nicht schwer, von der beabsichtigten Marine alles Heil zu erwarten, wenn wir auf die vaterländische Hansa zurückblicken“. Und so beschließt das Parlament als seine „erste That“, so der Abgeordnete Edgar Daniel Roß, Kauf- mann aus Hamburg, per Handzeichen und, vom Parlamentspräsidenten Hein- rich von Gagern so festgestellt, „mit an Stimmeneinhelligkeit grenzender Majori- tät“ und unter großem Jubel im Plenum, jene 6 Millionen Taler Anschubfinanzie- rung für die Schaffung einer Flotte. Es ist der Geburtstag der „deutschen Marine“. Und Jacob Grimm ist dabei – ganz vorn, in der ersten Reihe.
Es war einmal – in jenen alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. Und die Marine, die an diesem Tag in Frankfurt am Main geboren wurde, feiert im kommen- den Jahr schon ihren 175. Geburtstag. Und Jacob Grimm? Der verließ die Nati- onalversammlung bereits Ende Septem- ber 1848, des parlamentarischen Betrie- bes überdrüssig und entrüstet über den Waffenstillstand, den Preußen, das im Mai in Jütland einmarschiert war, mit Däne- mark schloss und den die Nationalver- sammlung, die erst gar nicht gefragt wor- den war, am 16. September 1848 nach- träglich billigte. „Undeutsch“, so Grimm, sei dies, und kehrte an seinen Schreibtisch in Berlin zurück, wo er sich wieder mit Wil- helm in die Arbeit am „Deutschen Wör- terbuch“ stürzte. Und blieb, so Grimm- Biograf Steffen Martus, zornig: „Je älter ich werde, desto demokratischer gesinnt bin ich.“ Jacob Grimm stirbt, knapp vier Jahre nach seinem Bruder Wilhelm, am 20. September 1863. Begraben ist er, neben Wilhelm und dessen Kindern, auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof in Ber- lin-Schöneberg. 7
Römer zu Frankfurt vor 1900
vertretung, für die der Schulprofessor Wurm so enthusiastisch in seiner Rede auf der Lübecker Tagung geworben hatte. Die Germanisten hatten derge- stalt, so Berns, die Denkbarkeit deutscher Demokratie gefördert und „einen Parla- mentarismus simuliert, den in politischer Realität zu üben noch keine Gelegenheit bestand“.
Doch vom Gedanken zur Tat war es nicht mehr weit, kaum dass der Funke der fran- zösischen Februarrevolution in die deut- schen Territorien geschlagen war. Für 1848 hatten die Germanisten schon eine weitere Tagung geplant, wieder an mythi- schem deutschen Ort, in Nürnberg, doch die fiel nun revolutionshalber aus. Denn jetzt war das Parlament, das die Germa- nisten anvisiert und in Lübeck gefordert hatten, tatsächlich ins Leben getreten,
wenn auch nur in ein kurzes. Und zwan- zig „Germanisten“, darunter drei Pro- fessoren der Göttinger Sieben, ebenso Professor Wurm, der Hanseexperte der Lübecker Tagung, zogen im Mai in die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche als Abgeordnete ein. Unter ihnen auch Jacob Grimm, der schon Mit- glied des „Vorparlamentes“ in Frankfurt, dem Vorbereitungsgremium zur National- versammlung, gewesen war.
Grimm, der zuvor erklärt hatte, er sei „für ein freies, einiges Vaterland unter einem mächtigen König und gegen alle republi- kanischen Gelüste“, saß auf einem Ehren- platz, gleich vorn in der Mitte auf einem extra herbeigeschafften Sessel direkt vor der Rednertribüne – ein Präsident der Herzen, während der administrative Ablauf Heinrich von Gagern als eigent-
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