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Geschichte
Hafen Saßnitz mit Flagg- und Schulschiff, Vordergrund sowjetisches TS-Boot
schleiß der Zylinderkessel nahm zu, was zu wiederholten Undichtigkeiten führte. Zur Modernisierung 1957/58 erhielt das Schiff zwei neue Wasserrohrkessel. Es wurde eine Geschwindigkeit von 13,2 kn erreicht. Das Vorschiff erhielt ein 85-mm-Univer- salgeschütz 90K anstelle des 37-mm- Geschützes. Das 37-mm-Geschütz ach- tern wich einer 25-mm-Doppellafette 2-m-3. Lediglich auf dem Bootsdeck ver- blieben zwei 37-mm-Geschütze. Hinzu kamen zwei 12,7-mm-MG an beiden Brü- ckennocken.
Fahrt nach Leningrad
Nach einem Kurzbesuch im Juni 1958 in Riga mit Überführung von Segelyachten des Armeesportklubs Rostock/Warne- münde zur Segelwoche in Riga weilte das Flagg- und Schulschiff vom 16. bis 20. Juli 1959 in Leningrad (St. Petersburg). Als Kom- mandeur der Fahrt fungierte der Kapitän zur See Friedrich Elchlepp. Zu jener Zeit Stellvertreter für Ausbildung an der Offi- ziersschule Stralsund. Er verkörperte ein Höchstmaß an maritimer Kompetenz. Der kriegsgediente Marineoffizier (Crew 1941) war I WO auf U 3514 (Typ XXI) im Dienst- grad Oberleutnant zur See. Nach dem Krieg fuhr er bis November 1945 auf einem Sperrbrecher der German Minesweeping Administration. Er gehörte 1950/51 zum Aufbaustab der HV Seepolizei. Bis 1953 war er Chef der Flottenbasis Ost (Peene- münde). Von Oktober 1954 bis 1955 ver- trat er Konteradmiral Heinz Neukirchen als Chef des Stabes. 1956/57 absolvierte er ein Studium an der Seekriegsakademie in Leningrad.
Auf der Hinfahrt erreichte der Wind die Stärke 8 Beaufort. Wind und See trafen das Dampfschiff im Winkel von 90 Grad auf die Backbord-Wand und Aufbauten.
längerte Decksaufbauten. Neben Wohn- decks für die Stammbesatzung gab es zwei Decks zur Unterbringung von 56 Offi- ziersschülern. In der „Admirals-Kammer“ konnte man nur vor Anker oder Liegezeit im Hafen ruhig schlafen. Antriebswelle und Propeller versetzten die Aufbauten in hef- tige Schwingungen.
Die Peenewerft meldete zum 10. Oktober 1952 die Fertigstellung und Abnahme des Schulschiffes. Entgegen dem im Jahresbe- richt 1952 der VP-See vermerkten Datum „2. November“ ist im Monatsbericht des Chefs des Stabes die Indienststellung des Schulschiffes per 26. November 1952 vermerkt. Das Schiff besaß nunmehr ein Deplacement von 1050 t. Es war 65,63 m lang, hatte eine Breite von 9,82 m und einen Tiefgang von 4,70 m. Wegen seines Tief- gangs achtern von 5,40 m kam es im Hafen Saßnitz bei Flachwasser hin und wieder zur Grundberührung. Eine Vierzylinder-Kol- bendampfmaschine (1200 PS) verlieh dem Einschraubenschiff eine Geschwindigkeit von 9 kn. Zwei Doppelflammrohrkessel mit Ölfeuerung erzeugten den Dampf. Einige Aggregate, wie z.B. das Ankerspill und die Pumpen waren Dampf getrieben. Ein Die- selgeneratorsatz mit Motor 4 NVD 26 und zwei weitere Aggregate erzeugten 220 Volt Gleichstrom. Die Bewaffnung bestand anfänglich aus vier sowjetischen 37-mm- Geschützen Typ 70 K und zwei 25-mm-Ein- zellafetten. Zwei deutsche 20-mm-Vier- lingsgeschütze zerbrachen beim ersten Schießen und wurden entfernt.
Besatzung, Kesselprobleme
Seit 18. August 1952 befand sich die Besat- zung mit 48 Mann (6 Offiziere, 4 Meister, 12 Unteroffiziere, 26 Matrosen) zur Baubeleh- rung in Wolgast. Erster Kommandant war Kapitänleutnant Hans Wild. Ihm zur Seite
standen Oberleutnant zur See Willi Kessler (I WO) und Oberleutnant-Ing. Werner Zie- mann (Leitender Ingenieur). Für die poli- tisch-kulturelle Arbeit an Bord war Leut- nant zur See Hans Helbig zuständig. Das in Saßnitz stationierte Flagg- und Schulschiff mit einer Stammbesatzung von nunmehr 56 Mann unterstand bis 1954 der Flotten- basis Ost (Peenemünde), dann dem Küs- tenabschnitt Saßnitz. 1957 wechselte es in Unterstellung der Seeoffiziers-Lehranstalt Stralsund.
Nach mehreren Ausbildungstörns erwies sich die Antriebsanlage als sehr störanfäl- lig. Reparaturen im Maschinenabschnitt häuften sich. Ein Inspektionsbericht lis- tete diverse Mängel auf. Er enthielt die Feststellung: „Der Betrieb der Hauptkes- selanlage entspricht nicht den Betriebs- normen, der Betrieb ist unzulässig“. Der Hauptkessel verfügte nicht über die erfor- derliche Abzugseinrichtung. Die Düsen erlaubten keine normale Zerstäubung des eingesetzten Heizöls. Die unvollständige Verbrennung verursachte starke Rußab- lagerungen in den Kesseln. Die Rußab- blasvorrichtung brachte nicht die notwen- dige Durchspülung der Kessel. Der Ver-
Flagg- und Schulschiff
ErnSt thälMann
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Foto: Nachlass Helmut Neumeister
Foto: Erich Kastner