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Geschichte
Schulterstück Chefinspekteur
Im Dezember 1950 zählte die HV Seepo- lizei 2280 Mann (inkl. ziviler Mitarbeiter). Davon hatten zwei Drittel der ersten Offi- ziers- und Unteroffiziersgeneration eine Verwendung in der Kriegsmarine. Bei Fähnrichen und Unteroffizieren betrug der Anteil 63 % (192 Mann) und bei Offi- zieren 67 % (214 Mann).
Ende 1951 befanden sich unter den 2922 Mann der HV Seepolizei (inkl. ziviler Mit- arbeiter) 577 Mann (19 %) kriegsgedien- tes Personal.
Bis Ende 1952 wuchs der Personalbe- stand der VP-See auf 6774 Mann, davon 3180 Offizier-und Unteroffiziersanwärter. Der Anteil von kriegsgedientem Personal verringerte sich. Von 633 Marineoffizieren waren 227 Mann (36 %) Offizier, Fähnrich, Unteroffizier oder im Mannschaftsdienst- grad in der Kriegsmarine.
Ende 1955 betrug der Anteil von ehe- maligen Angehörigen der Kriegsmarine aller Dienstgradgruppen in der VP-See 533 Mann. Das waren 5,33 % des Perso- nals der VP-See von gesamt 9990 Mann. Am stärksten vertreten war die Gruppe von 256 ehemaligen Unteroffizieren der Kriegsmarine, die nunmehr Führungs- positionen einnahmen. Auf den Schif- fen der HV Seepolizei bzw. VP-See fan- den vorwiegend kriegsgediente Marine- soldaten mit fachlicher Vorbildung eine Verwendung.
Personalwerbung
Die Aufbauphase der Marine war eng mit der Personalgewinnung und Rekrutierung von ehemaligen Offizieren, Fähnrichen, Unteroffizieren und Mannschaften aus der Kriegsmarine verbunden. Benötigt wur- den Männer mit maritimem Sachverstand, seemännischer und Führungserfahrung. Die Suche erstreckte sich auf VP-Bereit- schaften, Grenz- und Wasserschutzpoli- zei. Landes-Zeitungen schalteten im Juni 1950 Inserate „Bewerbung für die Seepo- lizei“ und „Seepolizei – etwas für uns!“. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft und unter den entlassenen Soldaten wurde für den Dienst in der Kasernierten Volks- polizei (KVP) geworben. Die „Freie Deut- sche Jugend“ (FDJ) startete im Juni 1952 eine Werbekampagne für den Dienst in der KVP. Diese führte u.a. in der VP-See zu einem rasanten Personalanstieg.
Entlassungen
In jener Zeit widersetzten sich auch Wehrmachtsangehörige der Anwer- bung durch Flucht nach Westberlin oder Westdeutschland. Sie lehnten die mari- time Aufrüstung und sowjetische Einfluss- nahme ab. In der HV Seepolizei kam es 1950/51 auch zu Entlassungen von „uner- wünschten Kadern“. Grundlage bildete der Befehl Nr. 2 des Präsidenten „Deut- sche Verwaltung des Innern“ (Vorläufer MdI) vom 14. Januar 1949. Betroffen von dem Schikane-Erlass waren VP-Ange- hörige mit nachgewiesener oder unter- stellter Westverwandtschaft. Das betraf u.a. VP-Inspekteur Wilhelm Brzoska, VP-
Neukirchen Cover
Kommandeur Walter Finke, VP-Oberrat Horst Bonatz, VP-Rat Fritz Lietsche, VP- Meister Margarete Pfaff und den Arzt, VP-Rat Werner Lengies. Unter den Befehl Nr. 2 fielen jene Männer, die in amerikani- scher, britischer, französischer oder jugo- slawischer Kriegsgefangenschaft waren. Ihnen wurde der Eintritt in die HV See- polizei verwehrt. Einige wurden entlas- sen. Die Anordnung erwies sich jedoch für die HV Seepolizei wegen des benötig- ten Marine-Fachpersonals als problema- tisch bis undurchführbar. Lt. Personalsta- tistik der HV Seepolizei vom 5. Dezember 1950 waren 391 Mariner in britischer (!), 100 in amerikanischer, 36 in französischer und 181 in sowjetischer Kriegsgefangen- schaft, insgesamt 708 Mann (ca. 34 %). Leutnant zur See Rudolf Eckstein (Jg. 1912) gehörte zu den Offizieren der Kriegsma- rine, die lt. Befehl Nr. 2 zunächst im März 1950 abgelehnt, dann jedoch eingestellt wurden. Der Autor begegnete Fregat- tenkapitän Eckstein 1967 an der Offiziers- schule in Stralsund. Er machte uns gleich zu Studienbeginn klar, woher am Strela- sund künftig der Wind weht. „Sie wer- den hier auf dem ehemaligen Areal der 11. Schiffstammabteilung und in Persona den Geist der Kriegsmarine spüren!“ Das überraschte, so viel Geschichte auf ein- mal auf so persönliche Art vermittelt zu bekommen. 16 Jahre später überließ er dem Autor für die Forschung Dokumente seines imposanten Dienstweges.
Führungsdefizite und Neubesetzung
Die SED-Führung erhielt Kenntnis, dass Chefinspekteur Scheffler dem Führungs- anspruch als Chef des Stabes der HV See- polizei und den maritim-fachlichen Anfor- derungen nicht gerecht wurde. Protokolle des Sekretariats vom SED-Politbüro bele- gen, dass man in dem Funktionär der National Demokratischen Partei Deutsch- lands (NDPD), Heinz Neukirchen (Jg. 1915) einen passenden ehemaligen Marineoffi- zier an Stelle von Scheffler sah. Die Sow- jetische Kontrollkommission empfahl ihn als Fachmann mit exzellentem maritim- militärischen Wissen und Erfahrungen. Am 1. März 1951 trat Neukirchen als Chef des Stabes im Rang eines Chefinspek- teurs (KAdm) in den Dienst der HV See- polizei. In der z.T. von SED-Funktionären und Antifaschisten geprägten Marine- führung war Neukirchen als Stellvertre- ter von Generalinspekteur Verner eine
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