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So meldete es im Juni 1848 die „Allge- meine Zeitung“ aus Augsburg, eine der meistgelesenen Tageszeitungen Deutschlands. Doch als die Abgeordne- ten nach ihren Pfingstausflügen wieder an die Arbeit gehen wollten, mussten diese „größten Dinge“ erst einmal hintan gestellt werden, denn nun stand unverse- hens „die Kriegsmarine“, wie die Zeitung weiter ausführte, auf der Tagesordnung. Was war geschehen: in deutsche Lande war die Revolution, gleichsam impor- tiert aus Frankreich, hereingebrochen, die Fürstenthrone wankten, und in Frank- furt am Main hatte sich am 18. Mai in der Paulskirche das erste deutsche Parla- ment, die Nationalversammlung, kons- tituiert. Erst kurz zuvor hatte Dänemark nach dem Beginn des Krieges um die Zukunft der Herzogtümer Schleswig und Holstein eine Seeblockade der deutschen Häfen verhängt, die nahezu den gesam- ten deutschen Nord- und Ostseehandel lahmlegte und der die Deutschen nichts entgegenzusetzen hatten. Eine Flotte musste her, und zwar möglichst schnell. „Denn was ist Deutschland ohne Flotte? Ein armer, alter, schwacher Mann“, so sah es die „Hallesche Zeitung“.
Schon Mitte April hatten sich die deut- schen Fürsten in der Bundesversamm- lung des Deutschen Bundes mit der Flot- tenfrage befasst und am 18. April, also bereits vier Wochen vor der ersten Sit- zung der Nationalversammlung, einen Marineausschuss eingesetzt.
Auch in der Paulskirche wird dann zur „oberen Leitung dieser hochwichtigen und dringenden Angelegenheit“ ein „permanenter Marineausschuss“ einge- richtet und am 6. Juni erstattet der preu- ßische Abgeordnete General Joseph von Radowitz dessen ersten Bericht. Neben
einigen Bemerkungen zu den „Bedingun- gen, die eine deutsche Seemacht über- haupt zu erfüllen hat“, der „Verteidigung der eigenen Küsten“ und der „ Beförde- rung der großen commerciellen und poli- tischen Interessen des Gesammtvaterlan- des“, kommt er schnell zum eigentlichen Zentrum seiner Ausführungen, der nati- onalen Symbol- und Einigungskraft einer Flotte und der historischen Aufgabe der Nationalversammlung als deren Schöpfe- rin: „Meine Herren! Wir wollen die Einheit Deutschlands gründen; es gibt kein Zei- chen für diese Einheit, das in dem Maße innerhalb Deutschlands und außerhalb Deutschlands diesen Beschluß verkündet, als die Schöpfung einer deutschen Flotte.
(Bravo!).“ Kaum also ist das Flottenpro- jekt auf der Agenda, nimmt es auch schon Fahrt auf und wird umgehend zu einem mächtigen, weltausgreifenden nationalen Prestigeobjekt. Und der flotteneuphori- sierte General von Radowitz sieht schon deutsche Kriegsschiffe unter schwarz-rot- goldener Flagge vor der Mündung des Rio de la Plata kreuzen.
So beantragt er für den Marineaus- schuss zur Kompensierung der „morali- schen Demütigung“ der Deutschen und der „tiefgefühltesten Bedürfnisse der Nation“ schließlich die für die Aufstel- lung einer Flotte berechneten Gelder, 6.000.000 Taler; und er tut dies, da die Nationalversammlung selbst über keiner-
Geschichte
Ein Parlamentsbericht aus der Paulskirche Die Gründung der ersten „deutschen Marine“ am 14. Juni 1848
Frank Ganseuer
Frankfurt, Pfingsten. Die Paulskirche steht leer, die meisten Abgeordneten erholen sich auf kleinen Ausflü- gen, ein erster Abschnitt ist in der Thätigkeit der Nationalversammlung eingetreten. Dieser erste Abschnitt war die Zeit der Vorbereitung, aber der Vorbereitung zu den größten Dingen. Dinge wie eine künftige deut- sche Reichsverfassung, wie die Entwicklung einer Zentralgewalt.
Dänische Schiffe blockieren den Hafen von Kiel
Leinen los! 5/2023 29
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