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wir zur See auftreten wollen, so müssen wir das auf eine großartige Weise thun, durch den Bau großer Schiffe, nicht durch Ueberschwemmung mit so vielen Kano- nenböten“, so Wiesner weiter. Sein Parla- mentskollege vom linken Flügel, Profes- sor Tellkampf aus Breslau, hebt seinerseits die ökonomischen und arbeitsplatzschaf- fenden Aspekte des Flottenbaus hervor sowie dessen nützliche Zwecke für über- seeischen Handel und koloniale Expan- sion. All dies, so Tellkampf, könne auch die Arbeiterschaft für die Flotte begeis- tern – zumal „durch den Verkehr mit ande- ren Völkern das freieste politische Leben“ sich entwickele, „von sklavischen Verhält- nissen“ befreie, ja, „das Seeleben die Völ- ker stählt und mit den Gefühlen der Frei- heit und Unabhängigkeit durchhaucht“. Und derart bleibe, so der Professor, „durch das frische wagnißvolle Seeleben ein Volk stets jung und kräftig“. Die Marine also ein
Heinrich von Gagern (1799–1880)
Kraftquell und Jungbrunnen, die Flotte ein politisches wie medizinisches Geheimre- zept. Wer wollte sich derartigen Vorzügen versagen?
Daher galt es nun, sich auch gar nicht erst auf maritime Halbheiten einzulas- sen, erst recht nicht auf kleine, schwach bewaffnete Segelschiffe wie das 1843 vom Stapel gelaufene erste und bis dato einzige preußische Kriegsschiff, die 33 m Länge messende Segelschulkorvette amazOne, die der hannoversche Abge- ordnete Wedekind sodann und höchst unvorsichtigerweise ins Spiel bringt. Denn dies Schifflein ist nun gerade nicht das, was sich die marinebeflügelten Abge- ordneten der Nationalversammlung als Grundstock einer imposanten deutschen „Kriegsflotte“ erträumt haben, und so geht sein Beitrag auch in großer „Hei- terkeit“ und „fortdauerndem Geläch- ter“, wie das Protokoll vermerkt, unter. Die kleine amazOne, der nach ihrer ers- ten großen Seefahrt 1844 aus Stabilitäts- gründen sicherheitshalber zwei 24-Pfün- der-Kanonen von Bord genommen wer- den mussten, würde vielmehr, so setzt nun der Abgeordnete Osterrath genüss- lich nach, „das Opfer des ersten großen Kriegsschiffes werden, dem sie begeg- nete, und das wäre doch ein allzu ungüns- tiger Anfang für die erste Operation der deutschen Kriegsmarine“.
„Bravo!“ aus dem Plenum und größte Aufbruchstimmung unter den „begeis- terten Matrosen“ (Heinrich Heine) im Rund der Paulskirche, mit der Flotte als gleichermaßen kraftvollem wie einigen- dem nationalen Zeichen. Wären da nicht lästige Geschäftsordnungs- und Verfas- sungsproblematiken wie die mangelnde finanztechnische Zuständigkeit der Nati-
Geschichte
Die Nationalversammlung tagt in der Paulskirche
onalversammlung für einen derartigen Beschluss, die die so fulminant im Parla- ment gestartete Flottenangelegenheit mit einem Mal an den Rand des Schiff- bruchs manövriert. Mit dem Antrag des Abgeordneten Eisenstuck nämlich, ,,die ganze Bewilligung auszusetzen bis nach der Beschlußnahme über die Niederset- zung eines Vollziehungs-Ausschuss“, also der Einsetzung einer Reichsregierung, der „Centralgewalt“, sei es doch anderenfalls unmöglich, für die Flotte „auch nur einen Pfennig zu bewilligen“.
Das schlägt wie eine Bombe in die mari- tim beseelte Parlamentsdebatte ein. Doch der souveräne und parlamenta- risch erfahrene Präsident, Heinrich von Gagern, ehemaliger hessischer Land- tagsabgeordneter und zeitweilig hes- sischer Ministerpräsident, umschifft diese bedrohliche Klippe schließlich mit großer Eleganz und einem Kunst- griff – unter Hinweis nämlich auf die
Joseph von Radowitz (1797–1853)
bald ja ohnehin zu erwartende Einrich- tung einer Reichsregierung: „Was wir heute thun, ist eine Vorarbeit für die künftige Centralgewalt, die uns dafür Dank wissen wird“, ruft er aus und setzt damit, wie die „Allgemeine Zeitung“ dann berichtet, „einer etwas verwor- renen Verhandlung, welche hierüber entstand“, ein von den Abgeordneten dankbar begrüßtes Ende.
Nach dreieinhalbstündiger Debatte waren die Herren nämlich durchaus erschöpft. „Sie sind wahrscheinlich ermüdet, ich bin es auch“, erklärte freimütig der Abgeord- nete Francke aus Schleswig. Umso mehr müsse es nun endlich darum gehen, unter Zurückstellen geschäftsordnungsmäßiger
Leinen los! 5/2023 31
Foto: Wikipedia
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