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Geschichte
Bedenken zum Beschluss und damit zur „Gründung des ersten großen National- werkes“ zu schreiten – sei es doch klar, so der Abgeordnete Jordan aus Berlin, dass es „hier weit mehr auf die große Sache, als auf den Weg ankommt“ – zumal, so General von Radowitz daraufhin, bezüg- lich der „Nothwendigkeit, daß Deutsch- land eine Kriegsmarine erhalte“ in der Nationalversammlung doch „im Allge- meinen kein Zweifel obwaltet, und zwar nach beiden Richtungen hin: in Bezug auf die materielle Notwendigkeit und auf die weit höhere sittliche Bedeutung“.
Also baut Präsident von Gagern den Hin- weis auf die bald einzurichtende „Central- gewalt“ noch in den Antrag ein, der Abge- ordnete Eisenstuck zieht seinen Verschie- bungsantrag zurück, und als dem Präsi- denten aus dem Plenum zugerufen wird, dass im Antrag dessen eigentlicher Zweck, „für die deutsche Flotte oder Marine“, fehle und der Präsident dies nicht uner- hebliche Detail noch dankbar einfügt, da hat die „deutsche Marine“ endlich freie Fahrt:
Contre-Admiral Carl Rudolph Brommy um 1850
keit grenzenden Majorität bejaht. (Allge- meines Bravo.)“
Die „Allgemeine Zeitung“ berichtet dazu am 16. Juni von „lebhafter Acclamation“, und in ihrer Beilage vom 17. Juni verweist sie noch einmal auf den Beschluss, der mit einer Mehrheit angenommen sei, „welcher
gewalt für Deutschland“ mündeten, mit dem „Reichsverweser“, dem österreichi- schen Erzherzog Johann an der Spitze, der am 29. Juni gewählt wurde und am 12. Juli sein Amt antrat.
In der Paulskirche aber war an jenem 14. Juni die Flotten-Sitzung nach fünfein- halb Stunden um 14:30 Uhr durch den Präsidenten geschlossen worden, nicht ohne zuvor die Meldung des Abgeordne- ten Kerst entgegengenommen zu haben, dass er zum Rechnungsführer des Marine- ausschusses bestimmt worden sei, zustän- dig für das Inkasso der hoffentlich zahl- reich eingehenden „freiwilligen Beiträge“ für die jetzt auf den Weg gebrachte „deut- sche Marine“.
Die Verlesung dieser Beiträge leitete hinfort wie ein Ritual die Sitzungen der Nationalversammlung ein. Dann folgte noch, durch den Parlamentspräsiden- ten höchst selbst, die Ankündigung der „Fürstlich Thurn- und Taxis’schen Gene- ral-Postdirection“ zur portofreien Beför- derung aller „Geldsendungen, welche zur Bildung einer deutschen Kriegsflotte auf der Adresse bezeichnet“ sind, dass ferner „Herr Merz, Inhaber des ehedem Fraun- hoferschen Optischen Instituts, für den Capitain des ersten deutschen Kriegs- schiffs“ ein „köstliches Fernrohr“ zu spen- den beabsichtige und dass man im Süden eifrig dabei sei, für ein Schiff zu sammeln, das „den Namen bayern durch die Meere tragen“ solle. Dann verschwand die Flotte aus dem Parlament.
Doch sie erblickte tatsächlich das Licht der Welt, mit ihren Dampfschiffen eine der modernsten und dank ihres Oberbe- fehlshabers Contre-Admiral Carl Rudolph Brommy bestausgebildetsten Europas. Ein langes Leben war ihr zwar nicht ver- gönnt, doch sie existierte auch nach ihrem Verscheiden unter dem Auktionshammer Hannibal Fischers fort in den Schiffen, die aus ihrer Konkursmasse an die Preu- ßische Marine gingen und in den Regle- ments, die in der kurzen Zeit ihres Beste- hens durch die Marineverwaltung unter Brommy erstellt worden waren und die noch heute in Vorschriften der Deutschen Marine, namentlich in die Marinedienst- vorschrift MDv 400/1, Dienst an Bord, hin- einragen.
Und am 14. Juni gedenkt die Deutsche Marine alljährlich der Gründung der „deutschen Marine“ durch das erste frei gewählte deutsche Parlament, die Natio- nalversammlung in der Frankfurter Pauls- kirche – vor nunmehr 175 Jahren. 7
Radfregatte Hansa, das 2. Flaggschiff Brommys
„Präsident: Ich stelle nun die Frage so: Beschließt die Nationalversammlung, daß die Bundesversammlung zu veranlas- sen sei, die Summe von 6 Millionen Tha- lern zum Zweck der Begründung eines Anfangs für die deutsche Marine, über deren Verwendung und Vertretung die zu bildende provisorische Centralgewalt der Nationalversammlung verantwort- lich sein wird, auf bisher verfassungsmä- ßigem Wege verfügbar zu machen, und zwar 3 Millionen sofort, und die fernern 3 Millionen nach Maßgabe des Bedürfnis- ses? Diejenigen Mitglieder, welche wollen, daß der Bundestag auf diese Weise zu ver- anlassen sein, bitte ich aufzustehen. (Fast die ganze Versammlung erhebt sich.) Die Frage ist mit einer an Stimmeneinhellig-
zur Einstimmigkeit nur 5 oder 6 Stimmen fehlten. – Unermeßlicher Jubel begrüßte dieses Ergebnis.“
In diesem Jubel ging allerdings ein weni- ger glorreicher Sachverhalt etwas unter: „Hätten die Fürsten den Flottenbau nicht gebilligt und dem Parlament zu den nöti- gen Mitteln verholfen: Die Parlamenta- rier in der Kirche hätten beschließen kön- nen, was sie wollten: nichts wäre gesche- hen!“, so der Historiker Michael Salewski. Denn tatsächlich wurde der Beschluss ja gefasst, bevor man in Frankfurt überhaupt eine Regierung gebildet hatte. Denn erst am 17. Juni, also drei Tage nach dem Flot- tenbeschluss, begannen jene Beratungen, die dann am 28. Juni im Gesetz über die „Einführung einer provisorischen Central-
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Foto: Schiffahrtsmuseum Unterweser
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