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Geschichte
lei Haushaltsmittel verfügt, bei der Bun- desversammlung des Deutschen Bundes, also just jener Institution, die es eigentlich durch die Revolution abzuschaffen gilt. Am 14. Juni nun findet sich dieser Antrag zur Abstimmung auf der Tagesordnung der Nationalversammlung wieder. Und da sich die Abgeordneten auf ihren Pfingst- ausflügen gut erholt hatten, widmen sie sich nun mit besonderem Elan der gro- ßen nationalen Frage, dem Bau einer Flotte. Es ist die „sechzehnte Sitzung in der Paulskirche, Mittwoch, den 14. Juni 1848 (vormittags 11 Uhr)“.
Eingangs gibt der Präsident des Hohen Hauses, Heinrich von Gagern, zunächst einmal Spendenbeiträge für die Flotte, die bereits bei der Nationalversammlung ein- gegangen sind, bekannt, wie den von 306 Gulden 42 Kreuzer, den der Abgeordnete von Künßberg aus Ansbach überbringt, „als Ertrag einer Verlosung von weiblichen Handarbeiten und anderen Gegenstän- den von Frauen und Jungfrauen Ansbach‘s veranstaltet, ferner 148 Gulden 20 Kreuzer Einlage in einer am Rathhause ausgestellt gewesenen Büchse“.
Die erste deutsche Flotte liegt vor Bremerhaven
Und derart eingestimmt geht es nun los: „Auf der Tagesordnung“, so der Präsi- dent, „steht ferner der Bericht des Herrn Abgeordneten von Radowitz, die Bil- dung einer deutschen Kriegsmarine betreffend. Der Antrag des Berichtes geht dahin: ‚Hohe Nationalversamm-
lung wolle beschließen, daß die hohe Bundesversammlung zu veranlassen sei, die Summe von sechs Millionen Thalern auf verfassungsmäßigem Wege verfüg- bar zu machen, und zwar drei Millionen sofort, und die ferneren drei Millionen nach Maßgabe des Bedürfnisses’. Die- ses ist der Antrag. Es haben sich mehrere Redner eingeschrieben. Herr Möring hat dasWort.“
Der Hauptmann aus Wien hatte erst unlängst eine Reise nach New York unter- nommen und dort das „amerikanische System“ der Marine studiert, um nunmehr mit seinen dort gesammelten Erkenntnis- sen über die Vor- und Nachteile des Ver- schießens von Voll- oder Hohlkugeln das Plenum in einem langen und in mehrfa- cher Hinsicht erschöpfenden Vortrag zu bedenken.
Damit gedachten sich allerdings die Abge- ordneten, die in ihrer Mehrzahl kaum ein- mal ein Seeschiff, geschweige denn ein Kriegsschiff, gesehen noch je betreten hatten, keineswegs tiefer zu beschäfti- gen. Und nachdem Hauptmann Mörings Fachvortrag dann auch sein wohlverdien- tes Ende gefunden hatte, beschwört sein Landsmann Wiesner hingegen nun die ideellen Werte deutschen Flottenbaus, wie sehr er nämlich von der Notwendigkeit durchdrungen sei, „die Ehre und Macht- herrlichkeit Deutschlands zu gründen“ und dabei zugleich „das Princip des Volkswil- lens, der Volkssouveränität aussprechen zu können“ – die Flotte mithin vor allem nationales wie, vermittels ihrer parlamen- tarischen Geburtshelferin, demokrati- sches Symbol sei. Vor allem aber habe sie mächtig und bedeutend zu sein: „Wenn
Frank Ganseuer/Heinrich Walle, Die Parlamentsmarine. Geschichte(n) und Porträts zur ersten deutschen Flotte von 1848. Bd. 21 der „Beiträge zur Schifffahrts- und Marinegeschichte“ der Deutschen Gesellschaft für Schiffahrts- und Marinegeschichte – und Marinegeschichte e.V. (DGSM). ISBN 978-3-96776-060-6. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin, € 24,80
Am 18. Mai 1848 zogen die Abgeordneten des ersten gewählten deutschen Parla- mentes, der „deutschen Constituirenden Nationalversammlung“, unter Glocken- geläut, schwarz-rot-goldenen Fahnen und dem Jubel der Bevölkerung in die Frank- furter Paulskirche ein. Am 14. Juni fasste dieses Parlament seinen ersten Beschluss, sechs Millionen Taler zur „Begründung eines Anfangs für die deutsche Marine“. Diese Marine sollte neben ihrem militärischen Zweck gegen die dänische Seeblo- ckade im Zuge des Schleswig-Holstein-Konfliktes vor allem auch Symbol deutscher staatlicher Einheit wie ihrer freiheitlichen Grundlagen, der von Parlament und der von diesem im März 1849 beschlossenen „Verfassung des deutschen Reiches“ sein. Das Buch zeigt in Geschichten und Port-
räts, wie diese Marine entstand und wer die Protagonisten waren, denen sie ihre Existenz und ihr Fortleben wesentlich ver- dankt. Zwar verschied sie 1853 unter dem Auktionshammer, doch in Schriften und in ihrem Spirit lebte diese erste deutsche Marine fort bis in die heutige Zeit, als Teil jenes historischen Bogens von der Revo- lution 1848 bis in die Zeit des wiederver- einigten Deutschland, von der „deut- schen Marine“ der Nationalversamm- lung zur heutigen „Deutschen Marine“ – eine Entwicklung von Geschichte wie Tradition.
30 Leinen los! 5/2023
Foto: Wikipedia


































































































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