Page 19 - Leinen los 7-8/2024
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Die fröhliche Crew um ihren Kapitän Danilo
dem ältesten Gestein der Welt. 4,5 Mrd. Jahre hat dieser Baltische Schild, aus dem auch Schweden, Finnland und Nord-Russ- land bestehen, auf dem harten Buckel. Sein Bergfuß wirkt durch die Sprengun- gen wie angeknabbert. „Das hat den Besitzer, der das Gelände verpachtet hat, steinreich gemacht“, grinst der Lotse und zeigt in die Runde, „das hier ist der größte Steinbruch Europas.“ Gewaltige Radlader, schwer bepackte 60-Tonner mit Riesenrei- fen, dröhnen am Ufer entlang und schüt- ten immer neue Hügel auf.
Im Ladebüro startet Erster Offizier Roel die Ballastpumpen, von Land aus schwenkt ein Förderband über eine geöff- nete Luke. Sekunden später pladdert die erste Tonne hinein. Das Display über der Steuerkabine zeigt die Menge an, die hier noch aufgefüllt werden muss. Der Dritte Offizier gibt dem „Bandleader“ oder zu Deutsch Bandfahrer an Land Handzei- chen, wenn der Ausleger geschwenkt muss, damit der Granitgrus gleichmäßig verteilt wird.
Getränke gegen Fisch
In Jelsa geht es norwegisch ruhig zu. Es gibt nur zwei Liegeplätze und man hat Zeit. Also fiert Bootsmann Lauro nach dem Mittagessen das Speedboot per Kran zu Wasser. Fünf Mann gehen auf Erkundungstour. In einer Fjordbucht wohnt Oddvar Sildelid mit seiner Frau Ase-Lill. „Den müssen wir unbedingt besuchen“, meint Bootsmann Olimpio und gibt Gas. Bis um die Ecke das Fischer- dorf Vatlandsvag mit seinen roten und weißen Holthäusern auftaucht. Auf dem Anlegesteg ein strahlender braunge-
brannter Wikinger-Typ: „Ich bin Oddvar“, sagt er nur und führt uns in einen seiner Hafenschuppen. Aus alter Verbunden- heit beschenkt er die Crew mit tiefgefro- renem Fisch. Oddvar, ehemaliger Kapi- tän und Lotse, ist nicht nur Hobby-Fischer mit eigenem Kutter, sondern auch Ver- mieter von Ferienhäusern und Angel- booten. „Wir haben überwiegend deut- sche Gäste“, freut er sich über die guten Geschäfte und lädt uns auf die Terrasse seines am Berg gelegenen Hauses ein. Ase-Lill, ehemalige Schiffs-Stewardess, hat ihren Mann an Bord kennengelernt. Kaffeegedecke und Kekse sind von ihr schon auf den Tisch gestellt worden. Eis gibt es auch noch. Die Männer genießen diese häuslich-private Atmosphäre mit weitem Traumblick über die Bucht.
Auf dem Rückweg wird noch am einzi- gen Supermarkt der Umgebung kurz gestoppt. Dann sind Bienvenido und Dennis an der Reihe. Mit Spezialschabern kratzen sie einen Eimer voll fetter Miesmu- scheln von den Felswänden. „Die sind fürs Barbecue morgen Abend“, verrät Olimpio und leckt sich den Mund.
Leuchtfeuer Kiel-Friedrichsort querab
An der Reling hat Kapitän Danilo eine Angelschnur ausgeworfen. In einem Eimer zappeln nur ein paar kleine Fische, „aber die schmecken gegrillt ausgezeichnet“, strahlt Danilo. Auch andere werfen ihre Angeln aus und ziehen den einen oder anderen Kabeljau an Deck.
Die Ladezeit verzögert sich. Nicht alle gewünschten Granitsplitt-Korngrößen sind sofort verfügbar. Außerdem muss das Förderband jedes Mal gespült werden, um nichts zu vermischen, was nicht zusammengehört. Europa braucht den harten Stoff. Die sieben Hartmann- Schiffe sind dafür im Dauereinsatz. Sie verteilen die begehrten Gesteinspro- dukte für Beton-, Straßen-, Deponie-, Gleis- und Wasserbau in über 50 Häfen zwischen Deutschland, Großbritan- nien, Dänemark, Frankreich, den Nie- derlanden und Polen. Unterm Strich sind das gewaltige 12 Mio. t pro Jahr oder 480 000 Lkw-Ladungen von jeweils 25 t. Eine unvorstellbare Kolonne von 7200 km, was etwa der Länge Südame- rikas entspräche.
Seereise beginnt
Immer wieder verholt die Crew das Schiff vor und zurück, kürzt die schweren Fest- macherleinen per Windenkraft auf oder verlängert sie. Alles ohne Schlepper- hilfe! Das an Land stehende Förderband ist nämlich starr, sodass die Ladeluken danach auszurichten sind. Das verschafft den Männern eine nur kurze Nacht. Für den spiegelglatten Fjord, die schwar- zen Berge und das rotglühende Him- melstheater haben sie keinen Blick übrig. Immerhin können vier von sieben Luken beladen werden. Um 19.45 Uhr sind alle Luken dicht. Die beiden Hauptmaschi- nen lassen den 40 000-Tonner erzittern. 21.00 Uhr: Leinen los und ein! Auslaufen mit Kurs auf Kiel. Rund 520 sm.
Mensch.Schifffahrt.Meer.
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