Page 20 - Leinen los 7-8/2024
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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Über dem Boknafjord liegt eine mystische Stimmung: granitgraue Wolken, durch die Sonnenstrahlen brechen. Auf den Berg- kämmen scheinen Trolle zu tanzen. Wie ein Mittsommernachtsmärchen!
An Back- und Steuerbord zieht die typisch norwegische Urlaubslandschaft vorbei. Rostrote und leuchtend gelbe Holzhäus- chen garnieren die Idylle aus Fels-, Wald- und Wasserlandschaft. Dazu passt nicht nur der Name des Schiffes, sondern auch seine kanadische Schornsteinmarke: CSL und ein rotes Ahornblatt. Steht für die renommierte Canadian Steamship Lines, mit der die Reederei HJH Shipmanage- ment ein Joint Venture betreibt. Zweieinhalb Stunden später steigt der Lotse querab Stavanger auf das Versetz- boot. „Beginn der Seereise“, sagt Kapi- tän Danilo zu seinem Dritten, der die Zeit ins Schiffstagebuch einträgt. Der Schä- rengürtel lockert sich, FjordneS schiebt seine platte Nase durch die stille See. Zwei Mega-Kreuzfahrtschiffe passieren auf Gegenkurs mit Ziel Stavanger. Mit ihrem Massenbetrieb möchte man nicht tauschen, wenn man FjordneS quasi für sich hat. Am nächsten Morgen dröhnt das Nebelhorn seine Weckmelodie: jede Minute einmal lang. Das Vorschiff scheint verschwunden zu sein. Kühles Wasser und warme Luft treffen aufeinander und sor- gen für Null Sicht. Doch irgendwann setzt sich die Sonne durch.
Bordklima angenehm
Nachmittags ziehen Grilldüfte durchs Deckshaus. Es ist so weit: Das ersehnte Barbecue kann auf dem Achterdeck stei- gen. Fisch satt samt Muscheln wartet auf die hungrige Crew. Koch Wenceslao hat noch Salate und Obstteller vorbe- reitet. Beim Bier kommt man sich näher und erfährt auch viel Privates von den Jungs. Die haben mitten im Skagerrak sogar Video-Kontakt zu ihren Familien und zeigen ihnen auf den fernen asiati- schen Inseln, dass an Bord alles in Ord- nung ist. „Dieser soziale Kontakt ist für sie ganz wichtig“, betont Danilo. Der Abend wird fortgesetzt im Mehrzweckraum. Hier dominiert der Philippino-typische Kara- oke: reihum einsetzender Sologesang zu schnulzigen Musikfilmen mit Unterti- teln und knackigen Bikini-Mädels. Voller Inbrunst und Sehnsucht vorgetragen. Die Stimmung steigert sich. Alle, bis auf die Wachen, machen mit und kreischen vor Vergnügen. „So ein Ventil brauchen
Über den Schwenkarm mit dem Förderband wird in Kiel gelöscht
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Nächtliches Anlegen an der Mibau-eigenen Pier in Danzig-Westerplatte
sie einfach für ihre Motivation während monatelanger Seezeit“, kommentiert Kapitän Danilo die vergnügte Show, „auch einen Kapitän, vor dem sie sich nicht fürchten müssen.“ Der Mann, so erlebt man ihn, hat neben seiner Vorge- setzten-Funktion gleichzeitig auch die Rolle einer Vaterfigur übernommen, die von allen respektiert wird. Das Bordklima ist entsprechend angenehm. Niemand nutzt das aus
Die Philippinos können sich auch bei Bas- ketball an Deck austoben oder sich mit Gewichten strecken und Muskeln trainie- ren. Trainiert wird auch dienstlich und mit großem Ernst: die vorgeschriebenen Feu- erschutz- und Rettungsbootmanöver. FjordneS rundet die dänische Nordspitze Kap Skagen und fädelt sich durch den
dichten Schiffsverkehr in den Großen Belt – unter der atemberaubenden gleichna- migen Brücke hindurch, über die in lufti- gen 65 m Höhe spielzeugklein Lkw und Pkw kriechen. Die Insel Langeland beglei- tet uns an Steuerbord, bis in der Kieler Bucht der Lotse an Bord kommt. Fest- gemacht wird im Scheerhafen zwischen Nord-Ostsee-Kanal und Marinebasis Kiel-Wik. Mibau-Schüttgut-Sattelschlep- per stehen schon in den Startlöchern, um den frischen Stoff zu übernehmen. Die knappe Liegezeit von elf Stunden reicht auch zum Einkauf und Beine-Vertreten. Um Mitternacht heißt es wieder „Klar vorn und achtern!“ Auf nach Norden zur nächs- ten Splittrunde, die Schiff und Crew dann mit der nächsten vollen Ladung von Jelsa nach Danzig führt. 7