Page 48 - Leinen los 7-8/2024
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Geschichte
Musterungen
Am 2. Oktober 1990 marschierten die an der OHS verbliebenen 270 Marinesolda- ten und 236 Zivilbeschäftigten unter den Klängen ihres Musikkorps auf dem Rasen des Fußballfeldes zur Musterung auf. Nach 38 Jahren und 9 Monaten endete die Geschichte der Lehreinrichtung. Drei Tage später erlebte der Autor in gewandelter Uniform wiederum den Auftritt des Musik- korps am gleichen Ort. Die Musiker spiel- ten jetzt die Nationalhymne der Bundes- republik. Die Musterung des Neuanfangs vereinte ca. 1200 Marinesoldaten und Zivil- beschäftigte der Lehrgruppen A (OHS), B (Flottenschule Parow) und C (Schiffstamm- abteilung Dänholm).
Abwicklungsphase
Im Bundeswehrkommando Ost (Straus- berg) fungierte OTL Georg Czerner als fachlicher Berater für den Militärmusik- dienst im Beitrittsgebiet. Ihm zur Seite stand KptLt Peter Hartmann (Bonn) als fachlicher Berater der Übernahme und Transformation von 18 Musikkorps der NVA. Die Musikkorps in Rostock, Stral- sund und Dranske waren zum 31. Dezem- ber 1990 aufzulösen. Angehörige des ehemaligen SMK Rostock schalteten im Dezember 1990 in der „Ostsee-Zeitung“ eine Traueranzeige.
Militärmusiker konnten sich für eine Ver- wendung in der Bundewehr bewerben. Oberfähnrich Klaus V, mein Nachbar im
Musikkorps 6. Flottille 1988
5. Obergeschoss eines Neubaublocks in Stralsund, gehörte zum Musikkorps der OHS. Ich hörte ihn bald nicht mehr musi- zieren. Er wechselte vom Militärmusiker zum Verkäufer von Gebrauchtwagen der Marken VW, Ford, Audi ...
Jüngere Militärmusiker, ca. 30 vom SMK und Musikkorps Stralsund, erhielten eine Verwendung im Militärmusikdienst der Bundeswehr (Kiel, Wilhelmshaven, Neu- brandenburg). KptLt Krause, Absolvent des Moskauer Tschaikowski-Konservato- riums, wurde als 2. Musikoffizier des Mari- nemusikkorps Ostsee übernommen.
Weisung aus Bonn
Der Leiter Militärmusikdienst, Oberst An- dreas Lukacsy, erließ am 6.11.1990 die Anweisung zur „Verwendung des Musik- materials der Musikkorps ehemalige VM“. Danach wurde „qualitativ geeignetes Musikmaterial einschließlich des gesam- ten Notenbestandes“ für das neu aufzu- stellende Heeresmusikkorps 80 in Neu- brandenburg benötigt. Das Musikmate- rial in Dranske, Stralsund und Rostock war fachlich zu sichten, nach den Kriterien: a) Musikinstrumente mit Eignung als Kon- zertinstrumente sowie b) Musikinstrumente für Einsätze im Freien (Schlechtwetterinstru- mente). Mit elektronischem Musikmaterial war nach strengem Qualitätsmaßstab analog zu verfahren. Alles sollte lt. Bonner Order bis 14. Dezember 1990 vollzogen sein. Nicht mehr geeignetes, unbrauchbareres Musik- material war in Zuständigkeit des Marine- kommandos Rostock der Verwertung zuzu- führen. Die Motivation der „VM-Militärmusi- ker auf Zeit“ bei der Material-Erfassung und -Abgabe war nicht die beste. Den Abtrans- port des Musikmaterials aus Dranske leitete Oberbootsmann Charly Nutt. Die Instrumen- tenfracht landete auf einem Lkw W 50 (Koffer)
ins Militaria-Lager Groß Mohrdorf bei Prohn. KptLt Witte hatte sich in der Abwicklungs- phase zurückgezogen. Auf Anfragen des Autors reagierte er nicht.
Konzertflügel-Streit
KptLt Hartmann traf am 12. Dezember 1990 im Marinekommando Rostock ein. Die Abgabe der Musikinstrumente des SMK war vollzogen. Hartmann beschreibt, wie in einer Nacht-und Nebelaktion ein neuwerti- ger Konzertflügel des SMK am 13. Dezem- ber 1990 von einem Drei-Mann-Kom- mando der Bundeswehr per Lkw von Ros- tock-Gehlsdorf zum Heeresmusikkorps 3 in Lüneburg abtransportiert wurde. Das geschah weder in Kenntnis noch mit Ein- verständnis von Flottillenadmiral Dirk Hor- ten. Es entwickelte sich ein kontroverser Schriftwechsel* über Zuständigkeiten zwi- schen dem Chef des Marinekommandos Rostock und Leiter Musikdienst im Streit- kräfteamt der Bundeswehr in Bonn. Hart- mann erfuhr von KptLt Krause, dass der Flügel entsorgt werden sollte. Horten bestand auf Rückgabe des Konzertflügels. Er war für das Offizierheim vorgesehen. Diese Episode belegt, wie ein Fachdienst der Bundeswehr in turbulenter Zeit Material im Rahmen der NVA-Bestandsaufnahme sicherte. Im Gegensatz dazu erlebte der Autor an der OHS VM eine beispiellose Materialvernichtung. Lehrbücher, Tauwerk, Sextanten, Peilaufsätze, Navigationsbeste- cke, Signalflaggen, Kommandotabellen, Seekarten, optische Geräte, diverse Aus- bildungstechnik landeten auf dem „Müll- haufen der Geschichte“. 7
* Nachzulesen in: Peter Hartmann, Wieder- vereinigung Militärmusik in Deutschland. Dokumentation eines Zeitzeugen, Selbst- verlag, Sankt Augustin 2023
Die Combo des SMK mit dem Chef der Volksmarine, Vizeadmiral Wilhelm Ehm, am Schlagzeug
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Foto: Archiv Holger Neidel Foto: Archiv Helmut Linke


































































































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