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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Heute an Bord, morgen geht’s fort ...
Um kurz nach elf Uhr sind wir am 27. Januar an Bord. Für die zwölf Passagiere gibt es sogenannte Immigrant Bunks. Das sind aus rohen Nadelholzbrettern und Balken gezimmerte Etagenkojen. Drei „Vierer- abteile“ befinden sich im Zwischendeck auf Backbordseite Höhe Hauptmast und erinnern stark an die Unterbringung auf den früheren Auswandererschiffen. Ins- gesamt befinden sich 72 Besatzungsmit- glieder inkl. Passagiere an Bord. Außer Sylvie, die vor rund zehn Jahren aus Ros- tock nach Australien ausgewandert ist, sind wir die einzigen Europäer. Nach einer Generalmusterung erfolgt die Einteilung in die Seewachen. Die jAMes crAig wird in einem rotierenden, jeweils vier Stunden langen Wachsystem gefahren, das sich nach drei Tagen wiederholt. Die Wachgän- ger erhalten bei Wachantritt vom Wach- führer kleine Kärtchen, die die Reihenfolge der zu besetzenden Stationen enthalten, z.B.: Küchendienst, vorderer Ausguck, Kontrollgänger durchs Schiff für Sicherheit und Ordnung, Rudergänger, zweiter vor- derer Ausguck nachts, Ausguck nach ach- tern. Auch die Essenszeiten folgen in See einer strikten Einteilung. Frühstück, Mit- tagessen und Abendessen sind in jeweils drei 20-Minuten-Blöcke unterteilt für die aufziehende Wache, die abgelöste Wache und die Freiwache sowie die Passagiere. Alle an Bord befindlichen Personen erhal- ten eine kleine Crewkarte, auf der die Mus- terungssammelstellen und die Rettungs- insel-Nummern verzeichnet sind, für die man eingeplant ist. Zwecks Überprüfung wird ein Feueralarm zur Probe und danach eine Übung zur Schiffsevakuierung durch- geführt.
Blick auf die Hauptluke (Main Hatch) des Oldtimers
Die Galionsfigur des Seglers ist ganz aus Holz gefertigt
Ab 16 Uhr treffen sich alle in der Rooftop- Bar des nahegelegenen Pyrmont Bay Hotels für ein letztes Abendessen an Land, denn das Auslaufen ist wegen der günstigen Windvorhersage auf den heu- tigen Abend vorverlegt worden. Nach
dem Abendessen beginnt das Seeklarma- chen. Während der Arbeiten zieht sich der Himmel immer weiter zu. Als in strömen- dem Regen die Leinen losgeworfen wer- den, beginnen auf der Pier zwei Dudel- sackspieler zu spielen. Bei Blitz und Don- ner verlassen wir den Hafen. Später lässt der Regen nach und die untergehende Sonne taucht die Skyline von Sydney in ein unwirklich erscheinendes gelboranges Lichtband, das Schiff beginnt in den Wel- len heftig zu rollen. Eine vollkommen neue Erfahrung ist es, auf einem Großsegler zu fahren, der nachts an Oberdeck vollkom- men unbeleuchtet ist. Um sich zu orientie- ren, ist allenfalls für kurze Zeit das Einschal- ten einer roten Stirnlampe gestattet. Für nächtliche Gänge an Deck ist daher das Anlegen eines Sicherheitsgeschirrs obli- gatorisch. Nachts werden das Vor-Sten- gestag-, Vor-Obermars-, Vor-Untermars- und das Besanstagsegel gesetzt, die am Morgen jedoch mangels Wind wieder geborgen werden. Die Maschine sorgt für unser Fortkommen. Am späten Vormittag des 28. Januar laufen wir aus der Tasman- see kommend in die im Südosten Australi- ens gelegene Jervis Bay ein, um günstige- ren Wind abzuwarten. Auf der Steuerbord- seite wird der sogenannte Admiralitäts- anker zum Fallen vorbereitet. Peter, der Kapitän, hat zwecks Trainings der Stamm- crew entschieden, diesen Anker zu setzen. Auf Backbordseite wird auch der moderne Patentanker klar zum Fallen gemacht, falls der Steuerbordanker nicht trägt. Aufgrund der Hitze wird die vordere Ladeluke zum Zwischendeck geöffnet.
Wir haben nun Zeit, uns die Bark etwas genauer anzusehen. Der 54,7 m lange Rumpf besteht aus Eisenplatten, die auf eiserne Spanten und Stringer genietet sind. Die Länge über alles beträgt 70 m, die Breite 9,50 m. Das Holzdeck liegt auf Eisenbalken. Der Laderaum war früher vom Hauptdeck bis zum Kiel 5,50 m tief, heute unterteilt durch das Zwischendeck. Der Großmast ist in Gänze 33,70 m hoch. Die Segelfläche der insgesamt 21 Segel
Beim Nähen des Focksegels
20 Leinen los! 6/2025