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Mensch.Schifffahrt.Meer.
um 6:30 Uhr beginnt das Setzen diverser Segel. Beim Heißen der schweren Groß- Obermarsrah übernimmt Bootsmann Sally den Part der Vorsängerin. Ihre Wache, die das Tau zieht, an der die Rah hängt, stimmt dabei dann den Refrain „haul away“ an, was so viel wie „zieht zugleich!“ bedeutet. Nach und nach werden die übrigen Rah- segel und zuletzt das Besansegel und dar- über das Gaffel-Toppsegel gesetzt. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Um 14 Uhr werden Maschine und Lüfter gestoppt. Es wird ganz still an Bord. Nur das Rauschen des Wassers an der Bord- wand ist noch zu hören. Wir segeln unter Vollzeug mit 4,9 kn Geschwindigkeit über Grund. Für eine Weile darf ich das Ruder übernehmen. Es ist ein tolles Gefühl, die- sen alten Windjammer zu fahren. Am Spät- nachmittag lässt der Wind etwas nach und das Großsegel, die beiden Royalsegel und das Gaffel-Toppsegel werden geborgen. Nach dem Sonnenuntergang sind zuerst die Sichel des Mondes zusammen mit der Venus zu sehen, dann zeigen sich immer mehr Sterne.
Gegen Abend geht der Trinkwasservorrat zur Neige und die Seewasserentsalzungs- anlage wird eingeschaltet. Die Pumpe, die das Seewasser ansaugt, macht allerdings erheblichen Lärm, sodass an Schlaf kaum zu denken ist. In der Nacht zum 2. Februar haben wir Flinders Island und Cape Barren Island passiert. Callum, der als Erster Offi- zier fährt, hat die auf dem Deckshaus fest-
Flottenparade in Hobart
gezurrte Kapitäns-Gig abgedichtet und die Hilfsbesegelung instandgesetzt. Bald nach Sonnenaufgang wird am 3. Februar damit begonnen, die ersten Segel zu ber- gen. Gegen halb acht kommt an Steuer- bord eine hohe Felseninsel in Sicht, die zu den Hippolyte Rocks gehört. Zwei Stunden später passieren wir die Tas- man Islands. Dann werden die restlichen Segel geborgen und auf den Rahen fest- gezurrt. Wir laufen in die Bucht von Port Arthur ein, wo wir mittags ankern. Nach- mittags wird mit den beiden Bootsdavits langsam die wohl schon seit einigen Jah- ren nicht mehr benutzte Kapitänsgig zu Wasser gelassen. Sie bleibt dicht. Mit Auf- stellen des Mastes und Setzen des Lug- gersegels zeigt sich dann, dass die Gig sehr schnell segeln kann.
Für den Vormittag des 4. Februar steht das Verlegen der Bark an einen näher an Port Arthur gelegenen Ankerplatz auf dem Programm. Port Arthur ist ein ehe- maliges Gefängnis auf der Halbinsel Tas- man Peninsula, in das Großbritannien ab 1833 Tausende Sträflinge schickte. Für einen Pendeldienst zu Port Arthur wird das Zodiac-Schlauchboot ausgesetzt. Nach einem sonnigen Vormittag hat sich der Himmel mit Wolken zugezo- gen. Es gibt mehr Wind. Die Kapitäns- gig wird bemannt und segelt nun in der Bucht hin und her. Nach dem Mittages- sen dürfen wir in den Unterraum hinun- tersteigen und uns auf dem Zementbal-
Dietrich Peter Kleine am Ruder des Großseglers
last mit einer Unterschrift unter die Syd- ney-Hobart-Reise 2025 verewigen. Da für die Nacht stürmische Winde angekündigt sind, werden an Deck und im Zwischen- deck Strecktaue gespannt, an denen man sich festhalten kann. Auch wird die Ankerkette gestreckt, um mehr Gewicht am Grund zu haben. Am Spätnachmittag werden die Gig und das Zodiac an Bord geholt und festgelascht.
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Foto: Elisabeth Dilly