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Geschichte
Teil 3
Do swidanija Germanija* Beginn des Abzuges der Westgruppe
Ingo Pfeiffer
Nach den Beiträgen in Leinen los! 7/8-2014 und 7/8-2015 widmet sich dieser Aufsatz dem Vertrag und der Anlaufphase des Abzuges der Westgruppe der russischen Trup- pen (WGT) aus den östlichen Bundesländern vor 30 Jahren.
Der letzte DDR-Ministerpräsident Lo- thar de Maizière charakterisierte das Empfinden der abziehenden Truppen mit
den Worten „Die Soldaten gehen als ge- schlagene Sieger ins soziale Nichts“. Nach dem Zerfall der UdSSR im Dezember 1991 erwartete die zurückkehrenden 363.690 Soldaten und 182.500 Familienangehö- rigen eine prekäre Wohnungslage, Des- interesse in der Heimat und berufliche Perspektivlosigkeit. Der Oberkomman- dierende der WGT, Generaloberst Mat- wej Burlakow, erwähnte 2009 in einem In- terview „In der Sowjetunion interessierte sich niemand für das Schicksal der West- gruppe“. Nach dem von Michail Gorbat- schow für 1989/90 verkündeten Teilab- zug von vier sowjetischen Divisionen aus der DDR kam der vereinbarte vollständi- ge Abzug aus Deutschland bis Ende 1994 für viele Militärs überraschend. Nach dem Kohl-Jelzin-Gespräch am 16. Dezem- ber 1992 verkürzte sich dieser bis zum 31. August 1994.
Aufenthalts- und Abzugs- vertrag Oktober 1990
Der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR am 12. Okto- ber 1990 geschlossene Vertrag über den „befristeten Aufenthalt und die Modali- täten des planmäßigen Abzuges der so- wjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ wurde von Hans-Dietrich Genscher (Außenminister Bundesrepublik Deutschland) und Wla- dislaw P. Terechow (Botschafter UdSSR in Deutschland) unterzeichnet. Zuvor schlos- sen beide Seiten am 9. Oktober 1990 das „Abkommen über einige überleitende Maßnahmen zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und der Sowjetunion“.
Dieser Vertrag beinhaltete finanzielle Zu- sagen der Bundesrepublik gegenüber der damaligen Sowjetunion zur Unter- stützung des Abzuges in Höhe von 15,55 Mrd. DM. Davon entfielen 7,8 Mrd. DM auf den Wohnungsbau an neuen Stand- orten der Sowjetunion. 1 Mrd. DM deck- ten die Transport-Kosten auf dem Land- und Seeweg. Diese Mittel versetzten die Sowjetunion in die Lage, den Abzug ihrer Streitkräfte aus dem vereinten Deutsch- land durchzuführen. Zusätzlich gewähr- te Deutschland einen zinslosen Kredit in Höhe von 3 Mrd. DM.
Der Aufenthalts- und Abzugsvertrag de- finierte Begriffe und rechtliche Grundla-
gen der befristeten Stationierung bis En- de 1994. Er beinhaltete 27 Artikel. Neben Regelungen und Verpflichtungen zum Aufenthalt und Abzug bis 31. Dezember 1994 enthielt der Vertrag konkrete Festle- gungen. Diese betrafen die Nutzung der Liegenschaften und Verkehrseinrichtun- gen, basierend auf dem Stationierungs- Vertrag vom 12. März 1957 zwischen DDR und UdSSR. Der Vertrag (1990) reglemen- tierte den Luftverkehr der WGT, die Aus- bildung innerhalb der WGT, Rüstungskon- trolle, Schadensregulierung, den Umwelt- schutz, das Gesundheitswesen, Post- und Fernmeldewesen, Versorgung und Han- del, die Nutzung von Funkfrequenzen,
Sowjetische Militärfahrzeuge werden auf dem Bahnhof von Neuruppin auf Güterwagen verladen
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