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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Zwischen Tag und Traum
Winterreise auf dem Zweimastschoner noorderLicHt
Christian König
Von Oslo kommend fliegt der SAS- Airbus nach Nordosten, stunden- lang. Unter ihm ziehen dunkelgraue Berge durch, im sanften Grün der Tundra stehen vereinzelt Rentiere. Es ist Okto- ber, manche Bergspitzen sind mit Puder- zucker eingestäubt. Den Zielflughafen Tromsø – rund 190 sm nördlich des Polar- kreises gelegen – erreichen wir erst zur Dämmerung. Im Landeanflug hebt sich gegen Westen die kleine Insel Håkøya ab, wo die Royal Air Force am 12.11.1944 das Schlachtschiff tirpitz versenkte. Bei Tageslicht würde man am Südzipfel des Inselchens die gewaltigen Trichter sehen, die Earthquake-Bomben in den Meeres- boden gestanzt haben, als man die tir- pitz angriff. Jetzt ist Håkøya nur ein flüch- tiger Schatten, ein paar Augenblicke spä- ter setzt die Maschine auf.
Tromsø ist ein wichtiges kulturelles Zen- trum nördlich des Polarkreises. Die quir- lige Stadt ist bekannt für ihre jahrhunder-
tealten Holzhäuser und wartet mit dem sehenswerten Eis- und Nordmeer-Infor- mationszentrum „Polaria“ auf. Außer- dem genießt die Stadt als Universitäts- standort weltweit einen hervorragen- den Ruf. Die 1965 östlich der Hauptinsel errichtete Eismeerkathedrale mit dem markanten Spitzdach und den wunder- schönen Buntglasfenstern gilt als moder- nes Wahrzeichen der Stadt und ist ins- besondere bei Kreuzfahrern beliebt. Unweit der Kathedrale kann man mit der „Fjellheisen“ genannten Seilbahn auf den Hausberg von Tromsø, den 418 m hohen Storsteinen fahren. Von oben hat man einen fantastischen Aus- blick auf die Fjordlandschaft mit ihren hohen Bergen und den vielen Inseln, und natürlich auf Tromsø selbst.
An der Kaigata, unweit des Kreuzfahrt- terminals, liegt unser Schiff: der Zwei- mastschoner noorDerlicHt, über alles knapp 46 m lang und 6,5 m breit, mit
550 m2 Segelfläche. 1910 von der Flens- burger Schiffbau-Gesellschaft gebaut, diente er bis 1924 als Feuerschiff kalk- grunD nahe der gleichnamigen Untiefe in der Geltinger Bucht, dann bis 1963 als Feuerschiff Flensburg. Nach der Außer- dienststellung war das Schiff kurze Zeit Heim für griechische Gastarbeiter, dann übernahm die Seglerkameradschaft Möltenort das ehemalige Feuerschiff und nutzte es Jahrzehnte als Klubheim. 1986 in die Niederlande veräußert, zer- schlug sich ein Umbauprojekt zum Fahr- tensegler, das Schiff gammelte vor sich hin. Ted van Broekhuysen und Geerd Ritzema begannen 1992, aus dem ehe- maligen Feuerschiff den komfortablen Zweimastschoner noorDerlicHt für die atlantische Langfahrt und für Expediti- onsreisen zu machen. Ein Schiff der Ex- traklasse, mit zehn gemütlichen Dop- pelkabinen, vier separaten Duschen und fünf WCs, Kühllast, großzügig geschnit-
36 Leinen los! 1-2/2023
Der Zweimastschoner noorderLicHt in Norwegen
Fotos: Christian König