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Mensch.Schifffahrt.Meer.
reichen, oder vielleicht auch weiter süd- lich nach Stavanger, durch den Ölboom reich geworden, und mit seinen vielen Restaurants und Szene-Bars beson- ders am Wochenende eine angesagte Stadt. Der Wetterbericht indes sieht nicht gut aus, von Nordwesten zieht ein kräftiger Herbststurm auf. Der Skipper schaut besorgt auf die Seekarten, rech- net, vergleicht die Wettervorhersagen. Wann kommt der Wind schon so, wie er vorhergesagt wurde? Selten. Aber wenn er doch so kommt, wie er vorher- gesagt ist, was dann? Das Schiff muss zurück nach Holland, Sightseeing spielt da keine Rolle. Die Entscheidung lässt auf sich warten; ein auslaufender Long Liner spendiert drei Kisten Kabeljau. Während die Köchin mit dem Schlach- ten beginnt, helfen wir mit, das Schiff seeklar zu machen. An Deck und dar- unter. In den Kabinen wird umgeräumt, alles, was umfallen könnte, verschwindet. Und dann gemahnt der Skipper zu einer letzten heißen Dusche, falls noch jemand Nachholbedarf hat. Bei zu starker Krän- gung läuft das Wasser nicht mehr ab, dann bleibt oft nur die Katzenwäsche. Nach dem Abendessen – vorzügliche gebratene Kabeljaufilets mit Nussbutter und dazu Thymiankartoffeln – erklärt die Schiffsführung die weitere Reise. Gegen 21:00 Uhr werden Strecktaue gespannt, dann schiebt uns der 360-PS-Diesel raus aus unserem Körbchen, im Flutlicht wer- den die Segel gesetzt.
In einem weiten Bogen auf Südwest- kurs geht es zunächst von der Küste weg. Bodøs Lichter entschwinden, vor uns liegt das bewegte Nordmeer. Alle
Wachen haben die Lifelines in den Schwimmwesten eingepickt. Safety first. Der Wind frischt immer weiter auf, die noorDerlicHt rollt und stampft. In pech- schwarzer Nacht segeln wir durch die grobe See. Im Morgengrauen scheint die Sonne sich nicht so recht durchzusetzen. Schneeschauer und Wolkenfetzen geben sich ein Stelldichein. Der Verschlusszu- stand hat so seine Tücken: Kondenswas- ser überzieht die Wände im Schiffsbauch mit einem dünnen Film Feuchtigkeit. Das Deck wird immer wieder überspült. Wer nicht aufpasst, steht schnell bis zum Bauch im Wasser. Wir reffen vergeblich, das Schonersegel fällt dem Sturm zum Opfer. Viel Arbeit für den Segelmacher im friesischen Sneek! Irgendwo zwischen den Faröern im Westen und dem nor- wegischen Städtchen Ålesund im Osten schwenken wir endlich auf Südkurs. Und je weiter südlich die noorDerlicHt sich vorarbeitet, um so wärmer wird es. Erst unmerklich in Nachkommastellen, dann endlich spürbar.
Der Sturm flaut ab, auf der Nordsee segeln wir in Richtung Den Helder. Nach dem Passieren der Doggerbank sind die letzten rund 160 sm bis zu den friesischen Inseln Schönwettersegeln; in langer Reihe hängen Öljacken und -hosen zum Auslüften und Trocknen auf der Wäscheleine. Alle Oberlichter und Luken sind geöffnet, unter Deck sum- men Waschmaschine und Trockner vor sich hin. Der Duft von Fenchel, Zwiebeln und Sellerie streicht um unsere Nasen, in der Kombüse entsteht eine Bouillabaisse nach schweizerischem Rezept. Schließ- lich zeichnen sich am Horizont die west-
Im Nordmeer zieht ein Sturm auf
Sturmfahrt, die noorderLicHt rollt und stampft
friesischen Inseln ab, deren Konturen stündlich größer werden. Wir umrun- den die Sandbank Noorderhaaks süd- westlich von Texel, laufen in Den Hel- der ein. An der Visserijkade, gegen- über der Marinekazerne Willemsoord Nieuwe Haven, werden die Einreisefor- malitäten erledigt, dann geht es durchs Wattenmeer zum Kornwerderzand, wo wir nach dem Passieren der Lorentzslui- zen die letzte Nacht an Bord verbringen. Nur 20 sm trennen uns noch vom Ziel- hafen Enkhuizen. Der Skipper dankt sei- ner Besatzung, zum Abendessen gibt es reichlich Bier und Wein, und den einen oder anderen Whisky. Bei einer Zigarre lassen wir die Sturmfahrt Revue passie- ren, bevor wir müde in die Kojen fallen. Keine 24 Stunden später stehe ich schon wieder in Köln am Hauptbahnhof, aber der Boden schwankt noch ein paar Tage unter meinen Füßen. 7
Info:
Die Noorderlicht segelt seit 2017 unter Floris de Waard und Mariëlle van Twil- lert von April bis Oktober nach Svalbard; in den Wintermonaten kann man unter Segeln in die wunderbare Welt der Nord- lichter eintauchen und an Walsafaris teil- nehmen (www.explore-sailing.com).
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