Page 36 - Leinen los! 10/2023
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Geschichte
Enthüllung Schriftzug vOrWärtS zur Schiffstaufe
Indienststellung
Der am Reparaturkai der Stralsunder Werft liegende Kohledampfer erlebte seine dritte Namensgebung. Er war fest- lich über die Toppen geflaggt. Name und Indienststellung hatten symboli- sche Wirkung. Die aus politischen Grün- den um einen Monat auf den 13. Okto- ber vorgezogene Indienststellung, sollte an den „Tag der Aktivisten“ anknüpfen. Dies war seit 1949 in der DDR ein Akti- onstag hoher Arbeitsleistungen und zugleich Würdigung der Besten (Akti- visten). Er nahm Bezug zur Höchstleis- tung des Bergmanns Adolf Hennecke. Am 13. Oktober 1948 erfüllte er die Arbeitsnorm in einer für ihn perfekt vor- bereiteten Schicht mit 387 % im Oels- nitzer Steinkohlerevier. Der Name vOr- wärts verkörperte den Aufbau der am 7. Oktober 1949 gegründeten DDR. Die Bedeutung, die der Indienststellung bei- gemessen wurde, belegt die Anwesen- heit von Offizieren der Hauptverwal- tung Seepolizei unter Generalinspekteur Waldemar Verner. Die Seepolizeischule Parow (gegründet 1. August 1950) mit ihrem Chef, Seepolizei-Inspekteur Wal- ter Steffens, stellte eine Kompanie von Seepolizei-Anwärtern. Die Männer hat- ten vor der Tribüne auf der Pier Aufstel- lung genommen. Die Teilnahme der See- polizei dokumentierte die Verflechtung von zivilen und militärischen Anstrengun- gen in der Aufbauphase von Seeschiff- fahrt und Marine. Vier Monate zuvor erhielt die DDR am 29. Mai 1950 von der Sowjetunion aus deren Schiffs-Beutebe- stand sechs Räumboote des Typ 218 der Kriegsmarine. 14 Tage später übergab die Sowjetunion der DDR vier ehema- lige dänische Marinefahrzeuge (Minen- leger, Fischereischutzschiff).
Betriebsstörungen
Als die vOrwärts am Tag der Indienst- stellung zur Probefahrt auslief, beglei- tete sie auch Spott und Zweifel über die Fahrtüchtigkeit. Die Jungfernfahrt „Rund um Rügen“ verkürzte sich wegen maschi- nentechnischer und schiffbaulicher Män- gel auf den Strelasund bis nach Barhöft und zurück. Einige Störungen konnten bis 31. Oktober 1950 behoben werden. Von Rostock aus dampfte die vOrwärts am 4. November 1950 mit 7 kn und 1015 t Stückgut an Bord nach Ventspils. Wäh- rend der Liegezeit dort war das Maschi- nenpersonal mit Reparaturen beschäftigt. Es gelang jedoch nicht, die Ursachen für das starke Vibrieren und Schlagen der Kurbel- und Schwanzwelle zu beheben. Auf der Rückfahrt musste das Schiff mehr- mals stoppen. Kapitän Beyrich setzte am 16. November, 15:32 Uhr, den Funkspruch zur DSU (Berlin) und Nebenstelle in Stral- sund ab. „Nachdem wegen Schlagens der Kurbel- und Schwanzwelle von etwa 8 mm mehrere Male auf See gestoppt werden musste, kann die Schiffsleitung die Verantwortung für Mannschaft und Schiff nicht mehr übernehmen.“ Die DSU in Stralsund setzte zur Hilfeleistung den Schlepper Aktivist in Marsch. Er sollte nördlich der Ansteuerung Sassnitz auf die vOrwärts treffen. Diese erreichte jedoch mit eigener Kraft den Hafen Stralsund. Nach der euphorischen Indienststellung durchlebte die vOrwärts-Besatzung auf der ersten Fahrt ein technisches Desas- ter. Zweifler sollten recht bekommen, das Schiff fiel neun Monate aus.
Erneute Werftliegezeit
Die DSU war äußerst unzufrieden mit den Werftarbeiten, die eher handwerkli- chen Charakter hatten. Die unterlassene Erneuerung der Schwanzwelle mit Ausrich- ten der Kurbelwelle sowie das nicht aus- geführte Abdrücken der Tanks hatten ein Nachspiel. Das Havarie-Protokoll beinhal- tete 51 maschinenbauliche und 29 schiff- bauliche Positionen für Reparaturen. Das Besprechungs-Protokoll mit Vertretern der Werft, Generaldirektion Schiffahrt, DSU, Deutsche Schiffs-Revision und -Klassifi- kation DSRK, dem Kapitän und Leitenden Ingenieur enthielt die Forderungen: „Zie- hen und Lagern der Schwanzwelle, nach
Minister Handke geht nach der Jungfernfahrt von Bord
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Kapitän Beyrich mit Schiffsmodell am Rednerpult


































































































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