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Geschichte
Pleiten, Pech und Pannen VorwärtS, erstes DDR-Handelsschiff
Ingo Pfeiffer
Am 13. Oktober 1950 stellte der Minis- ter für Außenhandel und Material- versorgung der DDR, Georg Handke, in der Staatswerft Stralsund das erste Han- delsschiff der DDR in Dienst. Dies war zugleich der Auftakt für die DDR-See- verkehrswirtschaft. Fortan wurde der 13. Oktober als Jubiläumstag begangen. An Oberdeck des Schiffes hatte ein Orches- ter der Freien Deutschen Jugend (FDJ) Aufstellung genommen. Es verkündete mit Trommelwirbel und Fanfarenklängen den Aufbruch der DDR-Handelsschiff- fahrt vom Strelasund auf die Weltmeere. In Anwesenheit der Werftarbeiter, Schiffs- besatzung, Regierungs- und Stadtvertre- tern, Angehörigen der seit 16. Juni 1950 bestehenden Seepolizei sowie von Offi- zieren der Sowjetischen Kontrollkommis- sion, taufte Minister Handke das bereits 47 Jahre alte Dampfschiff (917 BRT) auf den Namen vOrwärts.
Vorgeschichte
Als zweiter Neubau der Rostocker Ree- derei Cords & Schmidt kam das Schiff Grete cOrds am 25. März 1903 von den Helgen der Rostocker Neptunwerft in See. 1926 ging es an die Reederei Ahrens und befuhr als JOHANN AHreNs die Meere. Ende des Zweiten Weltkrie- ges lag der Veteran mit Kriegsschä- den in der Wismarer Bucht, anschlie- ßend betriebsunfähig im alten Hafen von Wismar. Der Besitzer Erich Ahrens übersiedelte 1948 nach Westdeutsch- land. Er beabsichtigte, das Schiff in Kiel instandsetzen zu lassen, um es dann zu verkaufen. Um sicher zu gehen, dass das Schiff nach der Reparatur in der Sowje- tischen Besatzungszone (SBZ) verblieb, ordnete der damalige Generaldirektor für Schiffahrt, Ernst Wollenweber, die Arbeiten in der Stralsunder Werft an. Parallel lief ein zweijähriges Tauziehen um den Besitz und Verbleib des Schif- fes. Unter dem Einfluss der Sowjetischen Militäradministration (SMA) wechselte es an die Deutsche Schiffahrts- und
Umschlagzentrale (DSU). Diese wurde auf Befehl Nr. 103 der SMA am 7. Juni 1948 gegründet.
Deutsche Seerederei im ersten Jahrzehnt
Die DSU verfügte mit der vOrwärts über das erste und vorläufig einzige hochsee- fähige Schiff. Mit dem Seeleichter fOrt- scHritt (503 BRT) bildeten beide Han- delsschiffe den Grundstock der Deut- schen Seerederei (DSR) in der DDR. Die DSR mit Sitz in Rostock wurde am 1. Juli 1952 gegründet. Die Mitteilung erfolgte im Ministerialblatt Nr. 39 vom 29. August 1952. Damit wurde die Forderung des III. Parteitages der SED (Juli 1950) zur Schaffung einer Handelsflotte erfüllt. Die Reederei sollte in der Aufbauphase zunächst über fünf Schiffe verfügen. Wegen der Reparationsleistungen der Werften in Rostock/Warnemünde und Wismar als Wiedergutmachung für die Sowjetunion war der Neubau von Schif- fen für die DDR ein Kraftakt. Die Nep- tun-Werft in Rostock bearbeitete vom 1. November 1946 bis 31. Dezember 1955 allein 449 Schiffsprojekte für die Sowjet- union. Die von den Werften zu erbringen-
Flagge Deutsche Seereederei
den Reparaturen sowie Umbauten (siehe Leinen los! 3/2016) hatten Vorrang. Sehr aufwendig gestaltete sich die Generalre- paratur und Erneuerung des Achterschif- fes des ehemaligen U-Bootbegleitschiffs wAldemAr kOpHAmel der wilHelm-BAuer- Klasse (5600 BRT) von 1951–1955. Als kuBAN fuhr es in der sowjetischen Flotte. Der im April 1952 für vier Jahre aufge- legte Plan sah den Zulauf von 22 Fracht- schiffen vor: 4 Typ I (1000 BRT), 6 Typ II (3000 BRT), 4 Typ IV (10 000 BRT), 5 Küs- tenmotorschiffe (Kümo bis 250 BRT) und 3 mit 500 bis 800 BRT. Am 11. Okto- ber 1954 konnte das Motorschiff rOstOck (3269 BRT/4465 tdw) ausgeliefert wer- den. Einen Monat später folgte die bau- gleiche wismAr und im Dezember 1954 die strAlsuNd.
1955 folgten 6 Kümo-Neubauten. Ent- gegen dem ursprünglichen Plan von 22 Schiffen mit 58 000 tdw kamen bis 1955
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Indienststellung der vOrWärtS in Stralsund 13. Oktober 1950
Fotos: ADN-ZB-Sturm/Archiv Pfeiffer (7)
Zeichnung: Olaf Rahardt